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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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des Hauses dicker geworden und würden jeden Luftzug, jeden Lichtstrahl aussperren. Er wusste, dass es seine Pflicht war, für seine Frau stark zu sein, aber er konnte Ada nicht helfen. In besonders schlimmen Momenten schreckte er sogar vor ihr zurück. Ihr Schmerz verschlimmerte seinen eigenen.
    Anfang Dezember hatte er seine Arbeit wieder aufgenommen; es tröstete ihn, sich nützlich zu machen. In Gegenwart seiner Patienten wurde er wieder er selbst: ruhig, sachkundig, mitfühlend. Wenn er nach Hause zurückkehrte, verwandelte er sich in einen Mann, für den er keinen Respekt empfand: in einen Ehemann, der vor lauter Kummer nicht in der Lage war, das Leid seiner Frau zu lindern. In einen Vater, der nicht einmal eines seiner fünf Kinder hatte retten können.
    Dr. Wintermute erkannte mit einem Mal, dass er sich mittlerweile in Chelsea befand, einem ärmlichen Stadtteil, dessen schmale Häuser düster und freudlos wirkten. Eine dicke Schicht aus Abfällen bedeckte die Straßen und vom verschmutzten Fluss wehte ein so erbärmlicher Gestank herüber, dass er wünschte, er hätte noch seinen Schal, um ihn über die Nase ziehen zu können. Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz: Professor Grisini lebte in Chelsea! Er dachte zurück an den Brief, mit dem er den Puppenspieler gebeten hatte, an Claras Geburtstag aufzutreten. Er erinnerte sich an die Straße, ja sogar an die Hausnummer!
    Seine Schritte wurden schneller, als er den Weg zur Danvers Street einschlug. Die Polizei hatte ihm bestätigt, dass man seinen Verdacht im Hinblick auf Grisini teilte. Es wurde ihm versprochen, dass Grisini beschattet und nachts sogar ein Constable vor Mrs Pinchbecks Haus positioniert würde. Doch ohne Erfolg. Der zuständige Ermittler hatte eingestehen müssen, dass Grisini ihnen entkommen war. Der Puppenspieler hatte London verlassen und seine wenig verlässliche Vermieterin konnte keinerlei Hinweise zu seinem möglichen Aufenthaltsort geben. Und gerade hatte Grisinis Junge behauptet, sein Meister sei gar nicht verschwunden, sondern tot. Dr. Wintermute beruhigte sich, dass das nicht stimmen könne. Er suchte an den Fassaden nach den Hausnummern. Ein Dienstmädchen, das die Hunde seiner Herrschaft ausführte, eilte an ihm vorbei. Zu seiner Überraschung steuerte es geradewegs das Haus an, das er suchte.
    Sie stieg die Stufen zur Haustür hinauf und trat ein, ohne anzuklopfen. Doch nur den Bruchteil einer Sekunde später schwang die Tür wieder auf. Ein verzweifelter Schrei war zu hören. Dr. Wintermute stürzte auf die Tür zu.
    Auf der Schwelle blieb er fassungslos stehen. Ein junger Mann mit kariertem Paletot und Zylinder hielt das Dienstmädchen fest. Er hatte die Arme um ihre Taille geschlungen und bedeckte ihren Mund mit einer Reihe schmatzender Küsse. Das Mädchen wand sich mit angeekeltem Gesicht und versuchte, sich zu befreien. Ringsherum tobten die kläffenden Hunde. Die verdrillten Enden ihrer Leinen steckten in einem mottenzerfressenen Muff, der wie ein sechster Hund über den Boden hüpfte.
    »Oh, hören Sie auf, bitte! «, flehte das Mädchen.
    Der Tonfall ließ Dr. Wintermute verblüfft aufhorchen. Das Mädchen wirkte schlampig, ihr Rock war zu kurz, die Schürze fleckig, doch sie sprach wie eine junge Lady. Der Kavalier in ihm erwachte. Er packte den Mann und riss ihn mit solcher Wucht herum, dass ihm der Zylinder vom Kopf flog. »Lassen Sie sie in Ruhe, Sir!«
    Der junge Mann blickte ihn verständnislos an. Er hatte ein fleischiges Gesicht mit einem Mund wie ein Baby. Es war die Art von Gesicht, gegen die Dr. Wintermute eine instinktive Abneigung empfand. Noch dazu stank der Mann nach Gin. Das Mädchen erkannte seine Chance zur Flucht, duckte sich unter den beiden Männern weg und kauerte sich neben die Hunde.
    Dr. Wintermute hatte geglaubt, eine junge Frau vor sich zu haben, denn sie war beinahe so groß wie der Mann, der versucht hatte, sie zu küssen. Jetzt, da sie auf dem Boden kniete, erkannte er ihre kindlich zarte Figur und dass sie das Haar zu Zöpfen geflochten trug. Sie war nur ein oder zwei Jahre älter als seine Clara. Rasender Zorn kochte in ihm hoch, und als er sich wieder dem jungen Mann zuwandte, lag ein mörderischer Blick in seinen Augen.
    »Wie können Sie es wagen, dieses Kind zu belästigen?«
    Der junge Mann versuchte ein versöhnliches Grinsen. Er deutete mit dem Daumen zur Decke, wo an einem roten Band ein Strauß Mistelzweige hing. »Du meine Güte, Sir. Das war doch nur ein Kuss. Schließlich ist

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