Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
Vom Netzwerk:
hielt den Takt. Sie vollbrachte einen letzten, katzenhaften Sprung, ließ die Arme sinken und machte einen Knicks. Der alte Mann mit den schwarzen Zähnen klatschte mit abgespreizten Ellbogen Beifall wie ein Kind. Die anderen Zuschauer schlossen sich ihm an und feierten sie mit begeistertem Applaus. Clara hätte am liebsten vor Glück laut aufgelacht. Sie spürte Parsefalls Triumphgefühl, das über seine Hände an den Fäden hinunterperlte. Sie wollte weitertanzen. Aber das Spielkreuz riss sie fort und holte sie mit einem Schwung hinter den Vorhang. Sie bekam mit, wie es am Marionettengalgen eingehakt wurde. Es war Zeit für den Auftritt des tanzenden Skeletts. Clara schwang hin und her, ihre Fäden vibrierten noch. Allmählich wurde das Schwingen langsamer, und schließlich hing ihr Körper schlaff und reglos herab.

24. Kapitel

     
    Das Vermächtnis
     
    L izzie Rose saß am Feuer und flickte ein zerrissenes Hemd für Fitzmorris Pinchbeck. Mit bebenden Nasenflügeln und zusammengekniffenem Mund zerrte sie so heftig am Faden, dass der Stoff beinahe einriss. Das Hemd stank nach Haaröl und die Nähte unter den Achseln waren vom Schweiß gelblich verfärbt. Lizzie Rose musste sich beinahe schütteln, während sie arbeitete, und auf Rubys Fellgesicht lag ein kummervoller Ausdruck.
    Der verhasste Mr Pinchbeck war bereits zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest eingetroffen und es bestand keine Hoffnung, dass er bald wieder abreisen würde. Sein Gewerbe war der Verkauf von künstlichen Zähnen, aber er hatte kürzlich seine Stelle verloren und fühlte sich in Grisinis ehemaligem Schlafzimmer sehr wohl. Er hätte gern das gesamte Stockwerk zur alleinigen Verfügung gehabt, doch als er das erwähnte, zückte Mrs Pinchbeck ein spitzengesäumtes Taschentuch und beteuerte, dass sie nie, niemals so grausam sein könnte, hilflose kleine Waisen auf die Straße zu setzen. Mr Pinchbeck erwiderte darauf, dass er hoffe, die kleinen Waisen zeigten sich für die Barmherzigkeit seiner Stiefmutter erkenntlich. Jeden Tag ersann er etwas Neues, womit die beiden ihre Dankbarkeit zeigen sollten. Parsefall musste ihm das Wasser zum Rasieren bringen, seine Stiefel putzen und Besorgungen für ihn erledigen. Lizzie Rose hatte sein Bett zu machen, sich um das Feuer in seinem Kamin zu kümmern und seine Garderobe auszubessern.
    Das war schon schlimm genug, aber noch nicht alles. Zu Lizzie Roses Grauen fand Mr Pinchbeck Gefallen an ihr. Er tätschelte die Schärpe ihrer Trägerschürze, kraulte sie unter dem Kinn und piesackte sie mit schmatzenden Geräuschen, die wie Küsse klangen. Lizzie Rose tat alles, um seinen Annäherungsversuchen zu entgehen. Sie zog sich ihre schäbigsten Kleider an und sprach mit ihm so grob, wie sie es nur eben wagte. Trotz des nasskalten Dezemberwetters verbrachte sie viel Zeit außer Haus und ging mit den Hunden spazieren. Während der heftigsten Regengüsse suchte sie in Gebrauchtwarenläden Zuflucht, wo sie nach Winterkleidung stöberte. Sie ermahnte sich, so wenig wie möglich auszugeben, aber das Geld, das sie für Grisinis verpfändete Uhr erhalten hatte, schien ihr nur so durch die Finger zu rinnen. Sie kaufte sich ein Dienstmädchenkleid, einen roten Unterrock aus Flanell und ein warmes Nachthemd. Für Parsefall erstand sie zwei Paar dicke Strümpfe, Galoschen und eine schwere wollene Winterjacke. Sie war ihm ein bisschen zu groß, doch das war von Vorteil, denn so konnte er sie über seiner alten Jacke tragen.
    Lizzie Rose schnitt den letzten Faden an Mr Pinchbecks Hemd ab, legte es beiseite und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Der Korb mit den Flicksachen war noch immer voll. Mr Pinchbeck hatte ihr fünf Paar seiner ekligen Strümpfe zum Stopfen gegeben. Stattdessen griff Lizzie Rose zunächst lieber nach Parsefalls alter Jacke. Er hatte geklagt, dass er Löcher in den Taschen habe, und sie hatte versprochen, sie zu reparieren.
    Die rechte Tasche war ausgebeult. Lizzie Rose lächelte. Parsefall hob immer allerlei Firlefanz auf und stopfte die Dinge in seine Jackentaschen. Sie griff hinein und fand ein ganzes Sammelsurium, das in den Hohlraum zwischen Jackenstoff und Innenfutter gerutscht war: zwei Quittungen, die an Mrs Pinchbeck adressiert waren, eine Reklame für Cooke’s Wanderzirkus, eine Austernschale, mehrere Haarnadeln, ein großes Stück Kohle und einen Brief.
    Der Brief war es, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Er war mit rotem Wachs versiegelt, auf dem ein einzelnes »S« prangte. Obgleich

Weitere Kostenlose Bücher