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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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Rock ab, als hätte sie sie beschmutzt, und wandte ihre Aufmerksamkeit einem Bücherschrank mit gläsernen Türen zu. Ganz oben stand eine Kristallkugel und die Fächer darunter waren vollgestopft mit riesigen, dunklen Wälzern – das konnten nur Bibeln sein.
    »Keine Bibeln. Grimoires! Zauberbücher«, erklärte Cassandra. »Du darfst sie gern aufschlagen, wenn du willst. Allerdings funktionieren die meisten Zauber daraus nicht. Damit ein Zauber funktioniert, bedarf es Leidenschaft – Angst oder Begierde oder Wut …«
    Clara nickte. Das leuchtete ihr ein.
    »Hexerei beginnt mit Leidenschaft. Tief in deinem Inneren hältst du eine Fülle starker Gefühle unter Verschluss, nicht wahr, Clara Wintermute? Du glaubst, sie machen dich schwach, aber das stimmt nicht. Sie verleihen dir Stärke, wenn du weißt, wie du sie einsetzen musst.«
    Clara senkte den Blick. So ängstlich und unsicher sie sich auch fühlte, das, was die Hexe erzählte, faszinierte sie. Was, wenn sie die Wahrheit sagte? Wenn Leidenschaft irgendwie in Macht, ja sogar in Magie umgewandelt werden könnte? Wenn sie, Clara, eine Hexe wäre, müsste sie nicht artig sein. Sie müsste nicht trauern. Sie könnte sich womöglich von Grisinis Fluch befreien und zum ersten Mal seit dem Tod Der Anderen glücklich sein.
    »Tritt in mein Labyrinth und folge den aufgemalten Linien. Ich will dich besser kennenlernen.«
    Stumm gehorchte Clara. Die Wölbungen ihrer Füße kribbelten und ihr war seltsam schwindelig, so als hätte sie sich auf einer Schaukel wieder und wieder im Kreis gedreht. Vorsichtig folgte sie dem verschlungenen Pfad, ihre Schritte waren regelmäßig wie der Schlag eines Metronoms. Bei jeder engen Biegung drehte sie sich gegen den Uhrzeigersinn. Erinnerungsfetzen tanzten vor ihrem inneren Auge und weckten die unterschiedlichsten Regungen: Mitleid, Überraschung, Heiterkeit. Clara sah sich selbst in Trauerkleidung bei der Bestattung Der Anderen. Dann war die Trauerfeier vorüber und sie kreischte vor Lachen bei ihrem Geburtstagsfest. Eine weitere Windung des Pfads und Clara war wieder klein. Sie kniete im Mausoleum neben ihrer Mama. Ihr war kalt und langweilig und sie wollte nach Hause, hütete sich aber davor, das auszusprechen. Die Wände der Gruft lösten sich in Dunst auf und Clara hörte das Klimpern der Spieluhr. Sie war eine Puppe und tanzte in der kühlen Novemberluft. Die roten Linien knickten ab wie eine Haarnadel und Clara stand allein in ihrem Kinderzimmer, wo sie vor dem Spiegel auf den Zehenspitzen balancierte. Ihr sehnlichster Wunsch waren echte Ballettschuhe, um auf den Spitzen tanzen zu können. Drei Schritte weiter war es Teestunde, ein selten sonniger Tag, und sie schmollte, weil sie ihre Brunnenkresse nicht essen wollte …
    Clara erstarrte. Nein, niemand durfte von der Brunnenkresse wissen. Augenblicklich wurde ihr glasklar bewusst, dass die Hexe ihren Gedanken folgte, während sie sich durch das Labyrinth bewegte. Halt! Halt!, dachte sie panisch. Raus hier! Sie öffnete den Mund, um das zu schreien, aber kein Ton kam heraus. Gezielt setzte sie einen Fuß auf die gemalten Linien und verstieß damit gegen das Gesetz des Labyrinths. Sie taumelte zur Seite, bis sie gegen die rauen Steine der Turmwand stieß. Daran gelehnt, blieb sie stehen und kämpfte mit der Übelkeit.
    »Du hast dich gut geschlagen.«
    Clara blickte erstaunt auf.
    »Als ich in deine Gedanken eindringen wollte, hast du mir Widerstand geleistet. Ich habe dich für stark gehalten und ich hatte recht. Und jetzt geh zum Tisch und wähle eine der tarocchi. Ich will sehen, für welche du dich entscheidest.«
    Clara blieb unschlüssig stehen, weil sie das Wort nicht kannte. Doch einen Moment später – Tarocchi sind Tarotkarten, du dummes Kind!  – trugen ihre Beine sie zu dem imposanten geschnitzten Tisch und sie betrachtete die ausgebreiteten Karten. Sie waren größer als gewöhnliche Spielkarten und zeigten verstörend schöne Bilder: eine Frau, die eine silberne Mondsichel hält, ein Skelett mit Sense, ein Turm, in den der Blitz einschlägt …
    »Wähle.«
    Clara hatte ihre Wahl bereits getroffen. Auf ihrer Karte war ein tanzender Mann in einem weißen Rock und grünen, enganliegenden Beinkleidern zu sehen. Er stand auf einer Zehenspitze, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Stumm durchquerte sie den Raum und hielt der Hexe die Karte hin.
    »Ah! Der Gehängte!« Das Gesicht der alten Frau erhellte sich. »Allerdings hältst du die Karte verkehrt

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