Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
trug, der ihr nicht gehörte. Mit majestätischer Haltung und glühenden Wangen rauschte sie in die Küche.
»Verzeihen Sie die Störung.« Die Bestürzung, die ihr Eintreten auf den Gesichtern der Anwesenden hervorrief, tat ihr wohl. »Ich muss mit dem Hund raus. Wären Sie so gut, mir meine Kleidung so bald wie möglich zurückzubringen. Ich wäre Ihnen dafür sehr verbunden.«
Am anderen Ende des Raums erspähte sie eine Tür und marschierte darauf zu. Dann trat sie hinaus in die Winterlandschaft. Es war beißend kalt und die Dämmerung war angebrochen. Auf dem Schnee zeichneten sich blasse bläuliche Schatten ab. Lizzie Rose tat einen zittrigen Atemzug.
»Komm, Ruby«, sagte sie und führte den Hund den Weg zum See hinunter.
Der goldene Wolf bellte vier Mal. Grisini beobachtete, wie der winzige Kiefer zuschnappte, und steckte die Uhr zurück in die Tasche seines Hausmantels. Er war nur acht Minuten gegangen. Eigentlich hatte er zehn Minuten gehen wollen. Schwer atmend, ließ er sich in den Sessel vor dem Feuer sinken.
Sein Blick wanderte durch den Raum, um zu überprüfen, dass er aufgeräumt war. In Kürze würden Cassandras Dienstboten kommen, um ihm etwas zu essen zu bringen und sich um das Feuer zu kümmern. Er achtete darauf, dass sie ihn stets im Bett vorfanden. Die Hexe sollte glauben, dass er noch immer bettlägerig war. Sie durfte nicht ahnen, dass er sich Tag für Tag in dem kleinen Raum im Kreis herumschleppte, um seinen Körper wieder zu kräftigen.
Grisini lehnte sich zurück und starrte mit halb geschlossenen Augen ins Feuer. Er rätselte – so wie zuvor Cassandra –, warum die Kinder nicht gekommen waren. Mit Ungeduld sehnte er die Ankunft der beiden herbei: von Parsefall, den er bereits das Fürchten gelehrt hatte und der ihm absoluten Gehorsam leisten würde; und von Lizzie Rose, die noch lernen musste, was Angst und Gehorsam waren. Wer von den beiden würde sein ganz persönlicher Flaschengeist werden? Wer würde den Fluch des Feueropals auf sich nehmen und ihm, Gaspare Grisini, erlauben, von der Macht des Steins zu kosten?
Sein Mund verzog sich zu einem Gähnen. Noch immer war er schwach von dem Blutverlust und die Kraftanstrengung beim Gehen hatte ihn ermüdet. Besser, er legte sich wieder ins Bett, bevor er im Sessel einschlief. Er stand auf und wollte gerade den Raum verlassen, als er ein Geräusch hörte – ein schrilles, verhasstes Geräusch: das Kläffen eines Hundes.
Es klang vertraut. Das war Rubys Kläffen – wie oft hatte er es verflucht. Grisini ging zum Fenster und spähte suchend hinaus in die Dämmerung. Schnell hatte er eine Gestalt ausgemacht, die sich bewegte: ein Mädchen in etwas Hellgrünem mit einem kleinen rotbraunen Fleck neben sich, dazwischen die gerade gespannte Hundeleine.
Sie waren gekommen! Die Kinder waren auf Strachan’s Ghyll eingetroffen. Grisini lächelte in sich hinein und kehrte in sein Bett zurück.
31. Kapitel
Die Festung der Hexe
C lara. Clara Wintermute.«
Clara schlug die Augen auf. Dann entsann sie sich, dass das unmöglich war. Ihre Augen waren doch starr und ließen sich nicht öffnen oder schließen. Trotzdem zuckten ihre Lider und sie spürte, wie die oberen und unteren Wimpern einander berührten, ja, sie bildete sich sogar ein, es zu hören. Clara blinzelte ein drittes Mal und ein Glücksgefühl durchströmte sie: Ihr Körper bewegte sich!
Sie drehte den Kopf zur Seite. Ihre Wange streifte Stoff. Parsefall hatte sie aus der Weidentruhe befreit und auf einen Sessel gesetzt. Er selbst schlief auf dem Bärenfell vor dem Kamin und wirkte merkwürdig klein. Schlagartig begriff sie, dass sie ebenso groß war wie er. Sie füllte den Sessel wie ein Mensch aus, nicht wie eine Puppe. Ihr Rock fiel über die Kante der Sitzfläche und ein Fuß baumelte herab, während sie das andere Bein angewinkelt und den Fuß in der Kniekehle vergraben hatte. Er kribbelte.
Sie richtete sich auf und zog den Fuß unter dem Bein hervor. Das Blut strömte zurück, was so wehtat, dass sie die Luft anhielt. Sie spürte Schmerz! Das war ein Wunder. Sie lebte.
»Clara Wintermute. Komm jetzt zu mir.«
Clara erhob sich. Die Stimme hatte sie noch nie zuvor gehört, aber sie wusste, dass sie ihr gehorchen musste. Sie hätte gern Parsefall geweckt, um ihm zu zeigen, dass sie keine Puppe mehr war, doch stattdessen steuerte sie auf die Tür zu und humpelte hinaus in den Korridor; noch immer freute sie sich über den kribbelnden Schmerz.
Der Gang
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