Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
war dunkler als Parsefalls Zimmer, weil hier kein Feuer brannte. Warum hatten aber dann die Schatten einen rötlichen Schimmer? Ein erster Anflug von Angst befiel Clara. Sie erinnerte sich an die Nacht nach ihrer Geburtstagsfeier, als sie durch die düsteren Straßen gewandert war, um Grisini zu suchen. Ihre Schritte verlangsamten sich. Vor einer schweren Tür in einer gewölbten Wand blieb sie stehen.
»Clara, komm in meinen Turm.«
Clara öffnete die Tür. Überall im Turmzimmer hingen Spiegel: Silberspiegel in goldenen Rahmen und schwarze Lackpaneele, die glitzerten wie Wasser. Kerzen waren so aufgestellt, dass ihre flackernden Flammen vor den eisig glänzenden Spiegeln strahlten und die Tiefe des schwarzen Lacks ausloteten. Die Spiegelungen zuckten durch den Raum, hell, dunkel, dunkel, hell, bis unzählige Flammen das Auge verwirrten. Über die blanken Bodendielen schlängelten und wanden sich aufgemalte rote Linien und fügten sich zu einem labyrinthartigen Muster. Im Zentrum des Labyrinths stand ein Stuhl, imposant wie ein Thron, und darauf saß eine massige, alte Frau.
Clara spürte Panik aufflackern, die jedoch rasch verflog und einem eigenartigen Gefühl der Heiterkeit wich.
Was für eine hübsche kleine Puppe! Kein Wunder, dass Gaspare versucht war, an ihr herumzumachen.
Clara verstand nicht, was das bedeutete. Trotzdem legte sie die Hände vor den Mund und kicherte zustimmend.
»Schließ die Tür und leg den Riegel vor. So ist es recht. Jetzt komm wieder her und steh still. Ich will mir dich einmal ansehen.«
Clara gehorchte. Auf dem Weg zurück stolperte sie über eine unebene Holzdiele und konnte sich gerade noch fangen, bevor sie hinfiel.
Sie ist tollpatschig. Genau wie ich früher.
»Verzeihung, gnädige Frau, aber wer sind Sie?«
»Ich bin Cassandra Strachan Sagredo. Du darfst mich Madama nennen, so wie Grisini.«
Clara schlang ihre Finger ineinander. Sie wünschte, sie könnte die Worte finden, um zu fragen, wie sie von Grisinis Zauber befreit worden war. Aber ihre Gedanken zuckten unruhig bald hierhin, bald dorthin wie die flackernden Kerzenflammen. Sie bekam sie nicht zu fassen. Nach einer langen Pause befeuchtete sie ihre Lippen. »Ist Grisini hier?«
»Gaspare? Nein. Er würde es nicht wagen, einen Fuß über diese Schwelle zu setzen. Das ist mein Turm, meine Festung.« Die Stimme der Frau wurde weicher. »Hier bist du völlig sicher. Meine Macht ist größer als die Grisinis. Solange du bei mir bist, hast du nichts zu fürchten.«
Clara glaubte das nicht. Sie presste ihre Finger ineinander und senkte den Blick auf den Boden. Gegen ihren Willen wanderten ihre Gedanken zu Grisini und zu seinem spöttischen Bau! Bau!. Zu seiner goldenen Uhr mit dem silbernen Schwan.
»Aha, die Uhr mit dem Spielwerk!« Cassandra hob die Hände. Eine Hand war bandagiert und sah aus wie die einer Mumie. »So hat er dich also verzaubert! Die Uhr habe ich ihm vor Jahren geschenkt. Gaspare war mein Lehrling in Hexerei. Er gab vor, mich zu lieben, und ich …« Sie zuckte mit den Schultern. »Du weißt, wie das ist. Jemand gibt vor, dich zu lieben, und du gibst zu viel preis.«
Ihr Schüler. In Hexerei. Sie ist eine Hexe, dachte Clara verwirrt.
Im gleichen Atemzug sagte sich Cassandra: Ich darf sie nicht verschrecken. Ich muss behutsam vorgehen.
»Tritt näher.« Die Stimme der Hexe war leise und freundlich. »Du warst noch nie im Inneren eines magischen Turms, nicht wahr? Fühl dich ganz wie zu Hause, genau genommen gehörst du sogar hierher. Schau dich ruhig um.«
Wie kann ich hierhergehören? Doch Clara sprach das nicht laut aus. Sie drehte sich langsam um, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Ein hoher Schrank mit Perlmuttintarsien erregte ihre Aufmerksamkeit. Er war mit vielen Reihen kleiner Schubladen ausgestattet, insgesamt vielleicht drei Dutzend.
»Du darfst die Schubladen ruhig öffnen.«
Clara zog wahllos eine auf und sie war randvoll mit Perlen gefüllt. Eine andere beherbergte Kristalle, die gelb und grün funkelten. Sie schöpfte eine Handvoll heraus und ließ sie durch die Finger rieseln. Im dritten Schubfach klapperte etwas, als sie es herauszog, und sie entdeckte eine Ansammlung kreideweißer Stöckchen. Schaudernd begriff sie, dass es die Knochen irgendeines unglückseligen Tiers waren. Hastig schloss sie die Lade.
Die Schublade hätte ich abschließen sollen. Ich habe der armen kleinen Puppe einen Schreck eingejagt!
Clara kicherte erneut. Sie wischte sich die Hand an ihrem
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