Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
deliziös sagen. »Ich kann es euch nicht verübeln. Aber glaubt mir: Nur ein einziger Gegenstand ist tabu und alle Räume stehen euch offen, mit Ausnahme des Turmzimmers. Der Turm ist abgeschlossen, weil er nicht sicher ist. Also erkundet das Haus, schaut euch um und nehmt, was euch gefällt. Und morgen, an Heiligabend, zeigt ihr mir, was ihr euch ausgesucht habt. Das wird mir bei der Entscheidung helfen, was ich euch in meinem Testament vermachen soll. Warum greift ihr nicht zu?«, nörgelte sie und klang wie ein Kind kurz vor einem Trotzanfall. »Fettle hat die Sachen extra für euch hochgebracht. Schaut, begehrt und greift zu! «
Lizzie Rose hielt sich zurück. Sie war fest entschlossen, keinerlei Interesse an den Dingen auf dem Tisch zu zeigen. Aber Parsefall ging hin und langte in die Schmuckschatulle. Grün und Gold blitzten auf. »Fang!«
Lizzie Rose streckte instinktiv die Hände aus und fing etwas Hartes, Metallisches. Sie blickte auf eine schwere goldene Halskette mit quadratischen grünen Steinen in ihren Händen.
»Keine Scheu! Behalte sie.« Cassandra Sagredo drehte sich auf die Seite, um sie zu beobachten. »Was nützt mir der Schmuck schon in meinem Sarg?« Ihre Stimme wurde scharf: »Was ist? Sind meine Smaragde nicht gut genug für dich?«
»Das ist es nicht, gnädige Frau …«
»Probier sie an. Und nenn mich Madama, nicht gnädige Frau. Leg die Kette an und schau in den Spiegel. Na also!«
Lizzie Rose wandte ihr Gesicht dem trüben Spiegel zu. Einer ihrer Zöpfe fiel ihr vorne über die Schulter und sie konnte nicht umhin, den schönen Kontrast zwischen den funkelnden grünen Steinen und ihrem roten Haar zu bewundern. Zaghaft berührte sie die goldenen Glieder.
»Das gefällt dir, nicht wahr, kleine Miss Eitelkeit.«
Lizzie Rose gab sich einen Ruck. Sie streckte die Hände in den Nacken und öffnete den Verschluss der Kette. Dann ging sie durch das Zimmer und legte die Kette zurück in die Schmuckschatulle. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, gnädige Frau, aber ich möchte sie lieber nicht annehmen.«
Cassandra äffte sie nach: »Ich möchte sie lieber nicht annehmen … Himmel, du bist schon so ein geziertes Ding. Dieses Erröten, dieses tugendhafte Gehabe! Wenn Gaspare mich nicht vorgewarnt hätte …« Sie konnte nicht weiterreden, weil sie von Lachen geschüttelt wurde. Dabei verschluckte sie sich so heftig, dass Lizzie Rose zum Waschtisch hastete, um ihr ein Glas Wasser einzuschenken.
Cassandra griff mit zitternder Hand nach dem Glas. Sie stürzte das Wasser hinunter und räusperte sich. Ihre Haut unter dem Puder hatte eine merkwürdig gräuliche Farbe, und das Rouge auf ihren Wangen wirkte erbärmlich und grotesk.
»Hilf mir, mich aufzusetzen. Es gibt da noch etwas, das ich euch sagen muss. Ich muss euch vor dem einen Gegenstand warnen, den ihr nicht wählen dürft.« Sie ließ das leere Glas auf die Steppdecke fallen. »Hilf mir hoch.«
Lizzie Rose schob einen Arm unter die Schultern der alten Frau. Der Geruch nach heißem Metall war jetzt sehr stark.
»Gib mir noch ein Kissen. Und spar dir dieses mitleidige Gesicht – das wirkt so rührselig. Also … ich zeige es euch.« Sie erhob die Stimme: »Komm her, Junge! Du musst es auch sehen.«
Sie streckte die goldene Kette vor, die sie um den Hals trug und an der ein Medaillon hing. Ihr gelblicher Fingernagel fand den Verschluss, die runde Kapsel sprang auf und gab den Blick auf einen roten Edelstein frei. Lizzie Rose fühlte sich an ein aufbrechendes Ei erinnert.
Cassandra nahm den Stein heraus und hielt ihn in der hohlen Hand. Er funkelte nicht, sondern glomm wie eine rot glühende Kohle. In dem Karmesinrot des Steins kräuselten sich weitere Farben und lösten sich wieder auf: die Blau- und Grünschattierungen von Pfauenfedern, mattes Weiß und blasses Gelb.
»Schaut euch den Stein an, aber berührt ihn nicht. Das ist ein Feueropal. Habt ihr jemals etwas Vergleichbares gesehen?«
Lizzie Rose schüttelte den Kopf.
»Schaut ihn euch an! Seine Größe, die Tiefe und der Schimmer! Nur wenige Feueropale weisen ein solches Farbenspiel auf. Er ist außerordentlich selten. Der Stein ist mehr wert als das ganze Haus und alles, was darin ist. Aber das ist nur das eine. Der Feueropal besitzt magische Kräfte. Ihr habt keine Vorstellung, was er für euch tun kann. Die harte Wahrheit ist allerdings, dass ich mich nicht von ihm trennen werde. Wer es wagt, ihn auch nur anzurühren, ist ein Dieb. Und welcher Dieb würde es schon
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