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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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ehrlich erschüttert, als er hörte, was passiert war, und brauchte einige Zeit, bis er kapiert hatte, warum sie zu ihm gekommen waren. Dann aber regte er sich richtig auf. »Ihr habt sie ja nicht alle! Wir sind doch kein Schlägertrupp! Oder meint ihr etwa auch, daß alles was Leder trägt, automatisch mit Ketten um sich kloppt? Und überhaupt, der war für uns doch noch ein Kind. Wenn wir nicht gewesen wären, hätte der seinen Bock nie ans Laufen gekriegt. Und dann mußten wir auch noch immer aufpassen, daß der keinen Scheiß damit macht. Ach Mensch, das ist doch alles gar nicht wahr!«
    Besonders gut kannte Gellings den Jungen nicht, wie sich herausstellte, und soweit er wußte, hatte auch kein anderer aus dem Club privaten Kontakt zu Ralf Poorten gehabt hatte. Sie hatten ihm geholfen, das Motorrad auf Vordermann zu bringen, ihm Ersatzteile besorgt und Tips gegeben. Einmal hatten sie ihn mit zum Nürburgring genommen. »Aber da war der ein echter Klotz am Bein. Fuhr die ganze Zeit wie ’ne Jungfrau. Der wär mit ’nem Dreirad schneller gewesen.«

    Astrid blieb in der Tür stehen und sah sich um. Ralf Poortens Zimmer war nicht sehr groß, zwölf Quadratmeter vielleicht, und einfach eingerichtet mit leichten Kiefernmöbeln. Hellgelb gestrichene Wände und der Fußboden mit blauem Kunststoff belegt, der blitzsauber war. Es roch nach warmer Schmierseife – Frau Poorten hatte sich wohl doch nicht daran gehalten, nichts zu verändern, wenigstens den Boden hatte sie noch gewischt. Der Tür gegenüber, an der anderen Schmalseite des Zimmers, ein Fenster, rechts und links Gardinen, die bis auf den Boden reichten, blau mit weißen Segelbooten. Unter dem Fenster auf einem Schemel ein großer, schon reichlich angejahrter Fernsehapparat, an der linken Wand aufgereiht ein Regal, ein Kleiderschrank, das schmale Bett, frisch bezogen und aufgeschüttelt, ein Nachttisch. Rechts gleich an der Tür ein Schreibtisch mit einem Stuhl. An den Wänden gerahmte kleine Bilder von Schulschiffen, neben dem Fenster eine polierte Schiffsglocke und über dem Kopfende des Bettes ein Kreuz mit einem aufwendig gearbeiteten Christus.
    Astrid trat zur Seite, um van Gemmern vorbeizulassen, und entschied sich, mit dem Schreibtisch anzufangen.
    Oben drauf stand ein Modellschiff, das schon lange nicht mehr abgestaubt worden war. Daneben lagen Berichthefte von der Berufsschule, an der Wand aufgereiht Bücher über Seefahrt, Abenteurer, Die großen Entdecker der Welt las sie. Sie schlug ein paar Hefte auf. Die Handschrift war ziemlich ungelenk, aber bemüht sauber. Er war ein guter Schüler gewesen, lauter Zweier.
    Die oberste Schublade war aufgeräumt, Papier, Stifte, Lineale, ein Locher. Die anderen Laden waren vollgestopft mit allem möglichen Kram. Es sah aus, als habe jemand beim Aufräumen einfach alles, was sich auf Anhieb nirgends einsortieren ließ, wahllos hineingestopft: Motorradzeitschriften, Aufkleber, zerknüllte Tankrechnungen, Schachteln, Streichhölzer, ein Playboyheft, mehrere Blitz Illus, ganz hinten in der mittleren Schublade eine Packung Kondome, noch ungeöffnet.
    Über dem Bett hing ein Foto, das Ralf Poorten, sein Motorrad und einen alten Mann – vermutlich seinen Großvater – zeigte. Es war eine Riesenvergrößerung, die jemand wenig gekonnt auf eine Hartfaserplatte aufgezogen hatte. Daneben das Kreuz und ein einzelnes Regalbrett, an Triangeln aufgehängt. Die Heilige Schrift mit Goldschnitt. Astrid nahm das Buch in die Hand und blätterte es auf. Es war viel darin gelesen worden. Dann lag da noch ein ganzer Stapel Hochglanzheftchen, Licht in der Dunkelheit, mit frommen Sprüchen, farbigen Fotos von glücklichen oder beseelten Menschen, Sonnenuntergängen und Schilfrohr, Geschichten über Einkehr und Buße. Sie blätterte nach hinten, fand den Herausgeber, eine katholische Gruppierung, und unter anderem auch den Namen ›Haus Barbarac. Dieser religiöse Fimmel schien in Mode zu sein, und sie hatte davon überhaupt nichts mitgekriegt.
    Auf dem Nachttisch stand eine Lampe, lag ein bißchen Kleingeld rum. Unter dem roten Wecker fand sie eine Klarsichthülle mit NIAG-Aufdruck, darin ein Stück Foto, das eindeutig aus einem größeren Bild mit der Schere ausgeschnitten worden war: ein Mädchen, vielleicht siebzehn. Sie hatte blondes, halblanges Haar, hohe Wangenknochen, einen vollen Mund und strahlende Augen. Sie lachte nicht in die Kamera, sondern irgendwen außerhalb des Fotos an, voll offener Wärme. Ein sehr hübsches,

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