Clara
was seine Bibliothek anging, schon lange nichts mehr. Seit frühester Jugend hatte er sich für nichts anderes als Kriminalistik interessiert – er hatte denn auch erst mit Vierzig geheiratet, es allerdings noch geschafft, fünf Kinder zu zeugen und zu erziehen – und alles zusammengetragen, was es auf dem Markt zu kaufen gab. Einschließlich der angelsächsischen und französischen Literatur zu dem Thema. Mit letzterer hatte er allerdings, wie er auch gern zugab, seine Schwierigkeiten, was das Sprachverständnis anging. Fast alles hatte er gelesen, und er war daher auch immer schnell mit Parallelfällen von Anno Tobak zur Hand, was manchmal nervte, manchmal lustig und manchmal durchaus hilfreich war, sei es auch nur, daß es bei allen die Phantasie anregte.
Toppe setzte sich auf van Appeldorns Stuhl und schüttelte jetzt doch den Kopf: »Wozu hast du denn ein Rheinhandbuch? Ich denke, so was brauchen nur Rheinschiffer und allenfalls Segler, oder was weiß ich.«
»Ach«, Heinrichs guckte schräg, »da war mal so ein Fall in Duisburg. Da hatte man einen Türken – oder war es ein Kurde? – also, den hatte man in ein Hafenbecken.« Er unterbrach sich, schließlich hatte er mit den Jahren dazugelernt. »Das führt jetzt zu weit. Jedenfalls wollte ich da mal so ein paar Angaben überprüfen.« Er zog an seinem Hosenbund, der mal wieder unter seinen Bauch gerutscht war. »Wie dem auch sei, Astrid hat überlegt, ob es sich nicht wohl doch um einen Unfall gehandelt haben könnte, und jetzt gucken wir gerade mal, wo das gewesen sein kann. Vor allem, wo man mit dem Motorrad …«
Er schaute wieder auf die Karte, dann zu Astrid. »Da gibt’s mehr als hundert Wege, und die unbefestigten stehen hier gar nicht alle drauf. Der Mensch könnte doch auch einfach oben über den Deich gefahren sein. Guck mal, hier und hier und hier.«
»Da sind aber eine Menge Zäune dazwischen, das weiß ich, und auch Höfe und so. Jedenfalls auf unserer Seite«, gab Astrid zurück. »Wie das rechtsrheinisch ist, weiß ich allerdings nicht.« Es klang kleinlaut.
Heinrichs lachte. »Wer kennt sich denn schon op de Gönnekant aus? Das sag mir mal!«
»Und warum ist Poorten bei Nacht und Nebel und in dieser eisigen Kälte an den Rhein gefahren?« fragte Toppe.
»Vielleicht hat er jemanden treffen wollen«, überlegte Astrid.
»Drogen«, sprang ihr Heinrichs hilfsbereit zur Seite.
Toppe verdrehte die Augen. »Wir wissen doch überhaupt nichts über den Jungen.«
»Das kommt schon noch«, sagte Astrid, setzte sich auf die Schreibtischkante gleich neben Toppe und schlug die Beine so übereinander, daß sie mit dem Fuß seinen Schenkel berührte.
»Wenn du nichts anderes für mich hast, würde ich am liebsten gleich noch mal zu seinen Eltern fahren und mir sein Zimmer ansehen. Da gibt es bestimmt was, was uns ein bißchen mehr über Ralf Poorten erzählt.«
Toppe zog sein Bein weg und sah sie an. Sie hob unschuldig die Brauen.
Heinrichs hatte nichts mitgekriegt – vermutlich.
»Auf jeden Fall muß doch das Motorrad zu finden sein«, sagte er bestimmt, ließ endlich von der Karte ab und setzte sich auch. »Das Flußufer geht überall flach rein, und so ein Ofen verschwindet nicht einfach. Soll ich die Suche organisieren, Helmut?«
Toppe rieb sich die Stirn und versuchte sich zu konzentrieren. »Ich wünschte, Norbert käme mit Arends Bericht, damit wir endlich wissen, womit wir es zu tun haben. Aber das Motorrad müssen wir auf alle Fälle finden. Also gut, Walter, mach mal.«
»… und die Wasserschutzpolizei?«
Toppe verkniff sich das Grinsen mit Mühe. »Damit warten wir noch. Wenn wir das Motorrad finden, ist die möglicherweise überflüssig.«
»Wer weiß …« murmelte Heinrichs unheilvoll.
»Und du«, tippte Toppe Astrid an, »fährst raus zu Poortens und guckst, was du findest. Und nimm van Gemmern mit, wenn er gerade Zeit hat. Wir müssen Fingerspuren von Poorten nehmen, um das Ganze wasserdicht zu machen. Da fällt mir gerade ein: Weiß einer von euch was über einen Motorradclub in Kleve?«
Astrid winkte ab, auch Heinrichs guckte ziemlich irritiert. »Am besten fragst du mal einen von den Grünen Jungs unten. Look, vielleicht, der ist doch so motorradbesessen, oder?«
»Morgen, allerseits!« Van Appeldorn schlackste herein, legte einen Stapel Papiere auf den Aktenschrank gleich an der Tür und schälte sich dann geruhsam aus Handschuhen, Mantel und Schal, hängte alles mit Sorgfalt auf den altersgebeugten
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