Clara
Sie war, würd ich da allerdings Luft dranlassen. Dat heilt dann viel schneller.«
»Schade, daß es hier kein Hotel gibt«, murrte Astrid vor sich hin, als sie wieder einmal ihr Auto auf dem Griether Markt abstellte. »Lohnt sich kaum noch, daß man nach Hause fährt.«
Sie ärgerte sich sowieso, daß sie sich die Schlappe geleistet hatte. Aber vor allem wurmte es sie, daß van Appeldorn darauf gestoßen war. Ausgerechnet van Appeldorn, der sie von Anfang an nicht für voll genommen hatte. Die ganzen ersten Jahre hatten sie sich ständig gefetzt, aber in letzter Zeit war es ruhiger geworden, und dann heute wieder dieser Tenor. Scheißkerl! Außerdem hatte sie Bauchschmerzen.
Der alte Schmitz hatte sich ja schon bei ihrem ersten Gespräch nicht gerade vor Freundlichkeit überschlagen, aber heute war er geradezu feindselig. Er ließ sie nicht einmal ins Haus, sondern fertigte sie auf der Eingangstreppe ab. CDU-Ortsverband? Selbstverständlich war er zur letzten Sitzung gegangen. Wann sollte das gewesen sein? Am 9. Februar? Gut möglich. »Ich habe Ihnen doch gestern schon gesagt, daß ich von nichts weiß. Wieso sollte das heute anders sein?«
»Na ja, Sie hatten ja auch vergessen, daß Sie am 9. Februar auf der Sitzung waren …«
Hinterher war er bei Lambertz in der Kneipe gewesen, wie immer. Mit wem? Mit Werner Albers und Gottfried Klinger. »Später ist der junge Albers auch noch gekommen.«
»Wann war das?«
»Kann mich nicht mehr erinnern.«
Wann sie nach Hause gegangen waren, wußte er auch nicht mehr, vielleicht um elf, konnte auch schon zwölf gewesen sein.
Astrid stand schon wieder auf der Straße. »Ach, Herr Schmitz, Sie wissen nicht zufällig, wann ich Herrn Klinger heute erreichen könnte?«
Er sah sie herablassend an. »Natürlich weiß ich das. Ich sagte doch gestern schon, wir sind hier alle eine große Familie. Gottfried arbeitet bis vier Uhr und ist pünktlich um Viertel nach fünf zu Hause.«
Na fein, dachte Astrid, wenn die Leute hier alle so nett sind, habe ich bis dahin Frostbeulen.
Ein alter Mann in brauner Mönchskutte öffnete ihnen und starrte sie erschrocken an, als sie sich vorstellten.
»Ja, ja, ja, ich hole den Hirten«, brabbelte er und lief davon.
Van Appeldorn sah ihm verblüfft nach. »Der hat sie nicht alle! Wen will der holen?«
Bernhard Mühlenbeck sah aus, als käme er von einer Beerdigung. Er trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte und einen melancholischen Ausdruck im Gesicht. Er nahm Toppe und van Appeldorn mit in sein aufdringlich gediegenes Büro, schob zwei Stühle vor den Schreibtisch, bat sie förmlich, Platz zu nehmen, und setzte sich in den Chefsessel.
Van Appeldorn grinste breit und rückte mit seinem Stuhl weg bis an die Schreibtischecke, so daß Mühlenbeck sie nicht beide zusammen im Blickwinkel hatte.
»Geht es immer noch um Ralf Poorten?«
»Es geht um Karsten Bülow«, sagte van Appeldorn.
»Um wen, bitte?« Mühlenbecks ganze Gestalt war ein einziges Fragezeichen.
»Um den Jungen, der voriges Jahr auf einem Ihrer Seminare einen epileptischen Anfall hatte«, erklärte Toppe.
»Und der daran gestorben ist«, ergänzte van Appeldorn.
Mühlenbeck verzog voller Schmerz das Gesicht. »Guter Gott, ja, eine grausame, furchtbare Geschichte.«
»So grausam, daß Sie den Namen des Jungen vergessen haben«, stellte van Appeldorn fest.
»Wie bitte?« Die Empörung in Mühlenbecks Stimme paßte nicht zu seinem Gesicht.
»Können Sie uns sagen, was genau passiert ist?« fragte Toppe beschwichtigend.
»Ich verstehe zwar nicht, was das nach all der Zeit … aber natürlich, ich war ja dabei.« Mühlenbeck schloß die Augen und rieb sich mit Daumen und Mittelfinger die Nasenwurzel. »Es war während einer unserer meditativen Übungen mit Kerzenlicht. Um letztendlich zum tiefsten Punkt der Versenkung zu finden, sind sprachliche Übungen ein gutes Mittel.«
»Lallen?« hakte Toppe nach.
»So könnte man es nennen. Jedenfalls passierte es dabei. Es war erschreckend. Wir haben sofort den Notarzt gerufen.«
»Bitte schildern Sie uns genau, was passiert ist.« Toppe ließ nicht locker.
Mühlenbeck seufzte. »Nun, bei den Glossolalieübungen fing der Junge plötzlich an zu zucken. Daß es sich um etwas Schlimmeres handeln mußte, haben wir erst bemerkt, als Blut aus seinem Mund kam. Er hatte sich die Zunge durchgebissen. Außerdem hatte er auch Schaum auf den Lippen.«
»Hatte der Junge seine Medikamente
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