Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
Vom Netzwerk:
müde, seine Tochter zu bewachen. Lästig war ihm vor allem das zweimalige Warten: ab sechs Uhr, bis seine Tochter aus dem Büro kam, und dann, während sie beim Stenographielehrer war. Am ersten Tag hatte er zu seiner Freude festgestellt, dass der Student das Weite suchte, als er sich näherte. Am zweiten Tag das Gleiche. Dann war er nie wieder aufgetaucht, und Anselmo wurde seine Bewacherfunktion leid. Seine Tochter sprach, vielleicht aus Groll, auf dem Weg kein einziges Wort. Auch das störte ihn. Er bemühte sich um eine Unterhaltung, stellte Fragen – und bekam knappe Antworten, die ihm die Lust nahmen, weiterzusprechen. Abgesehen davon schien ihm die Aufgabe, die er sich selbst verordnet hatte, unter seiner Würde, war er doch daran gewöhnt, zu Hause der Herr zu sein. Auch wenn der Vergleich nicht recht passte, kam es ihm – bei allem Respekt – so vor, als wäre der Staatspräsident in den Straßen unterwegs und kontrollierte den Verkehr. Anselmo brauchte nur einen Vorwand, nicht mehr auf seine Tochter aufzupassen: Sie musste versprechen, sich in Zukunft wie ein anständiges Mädchen zu verhalten. Oder etwas anderes.
    Der Vorwand ergab sich, und es war nicht ihr Versprechen. Am Monatsende überreichte Claudia ihm rund siebenhundertfünfzig Escudos, was bedeutete, dass der Chef ihr Gehalt auf achthundert erhöht hatte. Weil dies unerwartet kam, freute sich die ganze Familie und insbesondere Anselmo. Nachdem nun Claudias Tüchtigkeit erwiesen war, fühlte er sich »moralisch verpflichtet«, großzügig zu sein. Und da ihm seine prekäre finanzielle Situation nur mit dem Herzen großzügig zu sein gestattete, war er es: Er teilte seiner Tochter mit, er werde sie nicht mehr begleiten. Claudias Dankbarkeit hielt sich in Grenzen. Da er glaubte, sie habe ihn nicht richtig verstanden, wiederholte er seine Erklärung. Sie zeigte keine größere Dankbarkeit. Trotzdem hielt Anselmo sein Wort, doch um sich zu vergewissern, dass seine Tochter die ihr gewährte Freiheit nicht missbrauchte, beschattete er sie ein paar Tage lang von weitem. Von dem jungen Mann keine Spur.
    Beruhigt kehrte Anselmo zu seiner so geliebten täglichen Beschäftigung zurück. Wenn Claudia nach Hause kam, saß er längst vor seinen Sportstatistik-Tabellen. Zudem hatte er begonnen, ein Album mit Fotos von Fußballspielern anzulegen, und kaufte zu diesem Zweck jede Woche eine für Jungen gedachte Abenteuerillustrierte, die in jeder Nummer als Kaufanreiz eine farbige Beilage mit dem Konterfei eines Spielers enthielt. Wenn er die Illustrierte kaufte, fand er immer eine Möglichkeit, zu sagen, sie sei für einen Sohn, und trug sie in ein Blatt Zeitungspapier gewickelt nach Hause, damit die Nachbarn seiner Schwäche nicht auf die Schliche kamen. Er erlaubte sich sogar den Luxus, frühere Nummern zu kaufen, wodurch er sich auf einen Schlag im Besitz von mehreren Dutzend Bildern sah. Claudias Gehaltserhöhung war ein Geschenk des Himmels. Rosália wagte es, gegen die Verschwendung zu protestieren, doch Anselmo, nun wieder ganz Autorität, brachte sie zum Schweigen.
    Letztlich waren alle zufrieden: Claudia frei, Anselmo beschäftigt und Rosália wie immer. Das Familienleben lief nach der normalen Routine ab und wurde erst wieder gestört, als Rosália eines Abends eine Vermutung äußerte.
    »Ich habe so einen Verdacht, dass es bei Dona Lídia eine Veränderung gibt …«
    Mann und Tochter sahen sie fragend an.
    »Du weißt nichts, Claudia?«, erkundigte sich die Mutter.
    »Ich? Nein, ich weiß von nichts …«
    »Hm … Vielleicht willst du es nur nicht verraten …«
    »Ich habe doch gesagt, ich weiß von nichts!«
    Rosália schob das Stopfei in den Strumpf, den sie in Arbeit hatte. Sie tat es so langsam, als wollte sie Mann und Tochter neugierig machen, und fügte hinzu:
    »Ist euch nicht aufgefallen, dass Senhor Morais seit mehr als einer Woche nicht hier war?«
    Anselmo war es nicht aufgefallen. Claudia war es aufgefallen, wie sie sagte. Aber sie fügte hinzu:
    »Senhor Morais ist krank gewesen. Das hat er mir selbst gesagt …«
    Rosália, leicht enttäuscht, fand, Krankheit sei kein ausreichender Grund.
    »Du könntest es eigentlich herausbekommen, Claudia …«
    »Was herausbekommen?«
    »Ob sie sich gestritten haben. Das vermute ich nämlich …«
    Claudia zuckte die Achseln und erwiderte gereizt:
    »Das fehlte noch, dass ich so etwas fragen soll!«
    »Was wäre denn dabei? Immerhin hat Dona Lídia dir einen Gefallen getan, da wäre es

Weitere Kostenlose Bücher