Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
gern mit ihrem Mann. Sie war groß und dünn und er dick und untersetzt. Am Tag ihrer Hochzeit hatten die Straßenbengel gelacht, als sie aus der Kirche traten. Dieses Gelächter hatte sie nie vergessen, so wie sie auch das Foto nicht vergessen konnte, auf dem die Trauzeugen und Gäste auf den Kirchenstufen standen wie Zuschauer auf einem Fußballplatz. Sie versteinert mit herabhängendem Brautstrauß, die schwarzen Augen vor Ratlosigkeit getrübt; und er, schon damals dick, in seinen Gehrock gezwängt, mit dem geliehenen Zylinder. Sie hatte das lächerliche Foto tief in einer Schublade vergraben und es nie wieder ansehen wollen.
Der Dialog zwischen Uhr und Stille wurde abermals unterbrochen. Von draußen kam das dumpfe Geräusch von Gummireifen auf dem unregelmäßigen Pflaster. Das Auto hielt. Dann folgte ein Durcheinander von Geräuschen: die Handbremse, das typische Geräusch der Tür beim Öffnen, der kurze Knall beim Schließen, das Geklapper von Schlüsseln. Justina brauchte nicht aufzustehen, um zu wissen, wer da eintraf. Dona Lídia bekam Besuch, ihren Besuch, den Mann, der sie dreimal in der Woche beehrte. Gegen zwei Uhr nachts würde er wieder gehen. Er blieb nie über Nacht. Er war methodisch, pünktlich, korrekt. Justina mochte die Nachbarin von nebenan nicht. Sie mochte sie nicht, weil sie hübsch war, aber vor allem weil sie eine von denen war, die sich aushalten ließen, und außerdem weil sie eine elegante Wohnung hatte, eine Putzfrau bezahlen, sich ihr Essen aus einem Restaurant kommen lassen und mit Schmuck behängt und Parfümdüfte verströmend aus dem Haus gehen konnte. Doch war sie ihr dankbar, weil sie ihr den Vorwand geliefert hatte, endgültig mit ihrem Mann zu brechen. Dank Lídia hatte sie zu ihren tausend Gründen den wichtigsten dazubekommen.
Mühselig und langsam, als wollte der Körper die Bewegung verweigern, erhob sie sich und knipste das Licht an. Das Esszimmer, in dem sie sich befand, war geräumig, aber die Birne, die es beleuchtete, so schwach, dass von der verdrängten Dunkelheit in den Ecken Halbschatten zurückblieben. Die nackten Wände, die harten, unbequemen Stühle mit senkrechten Lehnen, der glanzlose Tisch ohne Blumen, die matten, fast kahlen Möbel – und in dieser kalten Umgebung Justina, allein, sehr groß und dünn, im schwarzen Kleid, mit schwarzen, tiefliegenden, stummen Augen.
Die Uhr drehte zwei Rädchen zurück und schlug schüchtern ein Mal. Viertel nach neun. Justina gähnte gemächlich. Dann knipste sie das Licht aus und ging ins Schlafzimmer. Das Bild der Tochter auf der Kommode strahlte sie fröhlich lachend an, der einzige Lichtblick in dem dunklen, muffigen Zimmer. Resigniert seufzend legte Justina sich hin.
Sie schlief nie gut. Die ganze Nacht träumte sie wirre Träume und wachte davon erschöpft und zerschlagen auf. Obwohl sie sich größte Mühe gab, gelang es ihr nie, einen Traum zu rekonstruieren. Das Einzige, was sie nicht vergessen konnte – und auch dies war eher eine Ahnung oder die Erinnerung an eine Ahnung als eine Gewissheit –, war, dass sich stets jemand hinter einer Tür befand, die keine Macht der Welt hätte öffnen können. Bevor sie einschlief, hämmerte in ihrem Kopf die Erinnerung an Matildes Gesicht, an ihre Stimme, ihre Bewegungen, ihr Lachen, ja sogar an ihr totes Antlitz, als könnte dies alles die Tür aus dem Traum aufbrechen. Vergeblich. Sobald sie die Lider schloss, versteckte Matilde sich, sie versteckte sich so gut, dass Justina ihr erst ganz ohne Mysterium wieder begegnete, wenn sie am nächsten Tag aufwachte. Aber ihr ohne Mysterium begegnen bedeutete, sie zu verlieren; sie wie zu ihren Lebzeiten sehen hieß, sie zu übersehen.
Ihre Lider senkten sich langsam unter dem Druck von Stille und Schatten. Ebenso langsam drangen Stille und Schatten in Justinas Hirn ein. Und bald begann der Reigen der Träume, abermals mit der beängstigenden fremden Person – und der verschlossenen Tür, dahinter das Mysterium. Plötzlich war aus weiter Ferne dumpfes, verzweifeltes Wimmern zu hören. Die Nacht wurde beängstigend gespenstisch. Justina schlug die Augen auf, ihr schon umwölkter Blick richtete sich in die Dunkelheit. Über Berge und Täler drang das Wimmern, es hallte wider aus dunklen Grotten und Aushöhlungen uralter Bäume, schickte tausendfach tragisches Echo in die Nacht, das Wimmern kam näher und war nun schon Weinen und jeder Klagelaut eine Träne, die wie eine geballte Faust fiel, mit der Kraft einer
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