Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Bett sinken. Sie gähnte ausgiebig, so ungehemmt wie alle, die keinen indiskreten Beobachter fürchten, ein Gähnen, bei dem sich zeigte, dass ihr einer der hinteren Backenzähne fehlte.
Lídia war nicht hübsch. Bei einer genauen Analyse ihrer einzelnen Züge wäre man zu jenem Typ gelangt, der von Schönheit genauso weit entfernt ist wie von Gewöhnlichkeit. In diesem Augenblick gereichte ihr zum Nachteil, dass sie nicht geschminkt war. Ihr Gesicht glänzte von der Nachtcreme, und ihre Augenbrauen mussten an den Enden gezupft werden. Lídia war in der Tat nicht hübsch, ganz abgesehen von dem wesentlichen Umstand, dass der Kalender schon den Tag angezeigt hatte, an dem sie zweiunddreißig geworden war, und dass der dreiunddreißigste Geburtstag nicht mehr in weiter Ferne lag. Aber ihre ganze Erscheinung strahlte etwas unwiderstehlich Verführerisches aus. Ihre Augen waren dunkelbraun, das Haar schwarz. Ihr Gesicht bekam eine männliche Härte, wenn sie müde war, vor allem um den Mund und die Nasenflügel herum, doch wusste Lídia es mit einer kleinen Veränderung schmeichelnd, verführerisch zu machen. Sie war recht geschickt darin, in sich selbst ein Beben auszulösen, das ihre Liebhaber um den Verstand brachte, sodass sie sich nicht mehr gegen das wehren konnten, was sie für natürlich hielten, die simulierte Welle, in der sie versanken, weil sie sie als echt erachteten. Lídia wusste es. All das waren Elemente ihres Spiels – und ihr Körper, schlank wie eine Gerte und vibrierend wie ein Stab aus Stahl, war ihr größter Trumpf.
Sie schwankte, ob sie einschlafen oder aufstehen sollte. Sie dachte an Maria Claudia, an deren frische jugendliche Schönheit, und obwohl sie jeglichen Vergleich mit einem Kind ihrer selbst für unwürdig hielt, spürte sie, wie sich sekundenlang ihr Herz verkrampfte und Neid ihre Stirn in Falten legte. Sie wollte sich fertig machen, sich schminken, zwischen Maria Claudias Jugend und ihrer Verführungskraft als erfahrene Frau den größtmöglichen Abstand herstellen. Mit einem Ruck stand sie auf. Den Boiler hatte sie schon vorher eingeschaltet, das Wasser für das Bad war fertig. Mit einer einzigen Bewegung legte sie den Morgenrock ab. Dann hob sie das Nachthemd am Saum an und zog es über den Kopf aus. Nun war sie vollkommen nackt. Sie prüfte die Wassertemperatur und ließ sich in die Wanne gleiten. Sie wusch sich langsam. Wie wichtig Reinlichkeit in ihrer Situation war, wusste sie.
Sauber und erfrischt wickelte sie sich in den Bademantel und ging in die Küche. Bevor sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, zündete sie den Gasherd an und stellte einen Wasserkessel für den Tee aufs Feuer.
Im Schlafzimmer zog sie ein schlichtes, aber hübsches Kleid an, das ihre Formen betonte und sie jünger aussehen ließ, beschäftigte sich kurz mit ihrem Gesicht, war zufrieden mit sich und der Creme, die sie benutzte. Dann ging sie zurück in die Küche. Das Wasser kochte bereits. Sie nahm den Kessel vom Feuer. Als sie die Teedose öffnete, musste sie feststellen, dass sie leer war. Verärgert verzog sie das Gesicht. Sie stellte die Dose weg und ging zurück ins Schlafzimmer. Sie wollte im Lebensmittelladen anrufen, hatte schon den Hörer in der Hand, doch als sie jemanden draußen sprechen hörte, öffnete sie das Fenster.
Der Nebel hatte sich verzogen, der Himmel war blau, von einem blassen Blau, wie immer zu Beginn des Frühjahrs. Die Sonne kam von weit her, von so weit her, dass die Luft erfrischend kühl war.
Aus dem Fenster links im Erdgeschoss erteilte eine Frau einem blonden Jungen einen Auftrag, der vor Anstrengung, ihre Worte zu verstehen, mit gekräuselter Nase zu ihr aufblickte. Sie sprach mit spanischem Akzent und wie ein Wasserfall. Der Junge hatte inzwischen verstanden, dass die Mutter Pfeffer für zehn Tostões haben wollte, und war im Begriff zu gehen, doch sie wiederholte ihren Auftrag mehrmals, einzig um des Vergnügens willen, mit dem Sohn zu sprechen und sich selbst zu hören. Denn anscheinend hatte sie keinen weiteren Auftrag. Lídia rief:
»Hallo, Dona Carmen!«
»
Quien me llama?
Wer ruft mich da? Ah,
buenos dias
, Dona Lídia!«
»Guten Morgen. Ist es Ihnen recht, dass Henrique etwas für mich im Laden besorgt? Ich brauche Tee …«
Sie nannte dem Jungen ihren Wunsch und warf einen Zwanzig-Escudos-Schein hinunter. Henrique rannte die Straße entlang, als würde er von Hunden gehetzt. Lídia bedankte sich bei Dona Carmen, die ihr in einem Kauderwelsch aus
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