Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
kompliziert, das ist die Wahrheit. Es gibt gute Musik und schlechte Musik. Es gibt gute Menschen und schlechte Menschen. Es gibt das Gute und das Böse. Jeder kann sich entscheiden …«
»Schön wäre es. Aber wie oft weiß man nicht, wofür man sich entscheiden soll, weil man es nicht gelernt hat …«
»Es soll ja Menschen geben, die sich nur für das Schlechte entscheiden können, weil sie von Natur aus schlecht sind!«
Cândida verzog das Gesicht, als täte ihr etwas weh. Dann erwiderte sie:
»Du weißt nicht, was du da sagst. Das gibt es nur, wenn der Mensch geisteskrank ist. Wir sprechen jetzt aber von Menschen, die sich, wie du sagst, entscheiden können … Einer, der so krank ist, kann sich nicht entscheiden!«
»Du willst mich verwirren, aber das gelingt dir nicht. Reden wir jetzt also von gesunden Menschen. Ich kann mich zwischen Gut und Schlecht entscheiden, zwischen guter und schlechter Musik!«
Cândida hob die Hände, als wollte sie zu einer langen Rede ansetzen, ließ sie jedoch gleich wieder müde lächelnd sinken.
»Lassen wir mal die Musik beiseite, die macht es nur kompliziert. Sag du mir, falls du es weißt, was gut ist und was schlecht. Wo hört das eine auf, und wo fängt das andere an?«
»Das weiß ich nicht, das kann man auch nicht fragen. Ich weiß nur, dass ich erkenne, was gut und was schlecht ist, egal wo …«
»Je nachdem, was du dafür hältst …«
»Anders geht es gar nicht. Ich kann doch nicht danach urteilen, was andere denken!«
»Genau das ist der Punkt. Du vergisst, dass die anderen auch ihre Vorstellungen von Gut und Schlecht haben. Und dass die vielleicht richtiger sind als deine …«
»Wenn alle so dächten wie du, käme man nie auf einen Nenner. Es muss Regeln geben, Gesetze!«
»Und wer macht die? Und wann? Und wofür?«
Sie schwieg einen Augenblick, dann fragte sie mit verschlagen unschuldigem Lächeln:
»Und überhaupt – denkst du nach deinen eigenen Vorstellungen oder nach den Regeln und Gesetzen, die du nicht gemacht hast …?«
Darauf wusste Amélia nichts zu antworten. Sie drehte ihrer Schwester den Rücken zu und beendete die Diskussion.
»Ist gut. Ich müsste längst wissen, dass man mit dir nicht reden kann!«
Isaura und Adriana schmunzelten. Diskussionen wie diese hatten sie schon zu Dutzenden gehört. Die armen alten Frauen, nur noch mit Hausarbeit beschäftigt, längst vergangen die Zeiten, da ihre Interessen breiter, lebhafter waren, da die wirtschaftliche Sorglosigkeit ihnen diese Interessen erlaubte! Nun, da sie faltig und gebeugt, ergraut und tatterig waren, spuckte das frühere Feuer die letzten Funken, kämpfte gegen die sich häufende Asche. Isaura und Adriana sahen sich an. Sie fühlten sich jung und voller Schwung, wohlklingend wie die gespannte Saite eines Klaviers – verglichen mit dem Alter, das so bröckelte.
Dann gab es das Abendessen. Vier Frauen um den Tisch. Dampfende Teller, ein weißes Tischtuch, das Zeremoniell der Mahlzeit. Diesseits – oder vielleicht jenseits – der unvermeidlichen Geräusche eine tiefe, quälende Stille, die inquisitorische Stille der Vergangenheit, die uns beobachtet, und die ironische Stille der Zukunft, die uns erwartet.
9
» D u siehst nicht gut aus, Anselmo!«
Anselmo strengte sich an, zu lächeln, er gab sich so große Mühe, dass das Ergebnis besser hätte sein müssen. Die Besorgnis war zu groß, um dem Spiel der Lachmuskeln nachzugeben. Heraus kam eine Grimasse, die komisch gewesen wäre, hätte ihm nicht die Verzweiflung in den Augen gestanden, bis zu denen die Bewegungen der Mundmuskulatur nicht gelangte.
Sie saßen in der Küche beim Mittagessen. Anselmos Uhr auf dem Tisch zeigte ihm an, wie viel Zeit er noch hatte. Das leise Ticken unterbrach die Stille, die nach Rosálias Ausruf eingetreten war.
»Was hast du?«, fragte sie wieder.
»Ach … Nur Mist …«
War er allein mit seiner Frau, war Anselmo nicht wählerisch in seiner Ausdrucksweise, und er kam auch gar nicht auf die Idee, dass sie ihm das übelnehmen könnte. Rosália nahm es ihm tatsächlich nicht übel.
»Was denn für ein Mist?«
»Sie haben meinen Zahlschein nicht akzeptiert. Und bis zum Monatsende sind es noch zehn Tage …«
»Ja, und ich habe kein Geld mehr. Ich musste schon heute im Laden so tun, als hätte ich mein Portemonnaie vergessen.«
Anselmo knallte die Gabel auf den Tisch. Der letzte Satz seiner Frau hatte ihn wie eine Ohrfeige getroffen.
»Mich würde mal interessieren, wofür
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