Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
dreimal kurz.
»Das ist die Kleine«, sagte Anselmo. Mit einem Blick auf die Uhr fügte er hinzu: »Und sie ist zu spät dran.«
Als Maria Claudia eintrat, schwanden die Schatten in der Küche. Maria Claudia erinnerte an das bunte Titelblatt einer jener amerikanischen Illustrierten, die der Welt zeigen, dass man in Amerika Menschen und Gegenständen immer erst einen neuen Anstrich verpasst, bevor man sie fotografiert. Maria Claudia hatte ein untrügliches Gespür dafür, die Farben zu wählen, die ihre Jugend am besten unterstrichen. Ohne zu zögern, fast instinktiv, wählte sie von zwei ähnlichen Farbtönen den passenderen. Das Ergebnis war betörend. Anselmo und Rosália, dumpfe Geschöpfe mit matter Gesichtsfarbe und dunkel gekleidet, konnten sich der Ausstrahlung solcher Frische nicht entziehen. Und da sie sie nicht imitieren konnten, bewunderten sie sie.
Mit ihrem sechsten Sinn fürs Schauspielern blieb Maria Claudia so lange stehen, bis sie die Eltern mit ihrem hübschen Anblick für sich gewonnen hatte. Sie wusste, dass sie zu spät gekommen war, und wollte keine Erklärungen abgeben. Genau im richtigen Augenblick trippelte sie wie ein anmutiges Vöglein zum Vater und gab ihm einen Kuss. Dann wirbelte sie herum und fiel der Mutter um den Hals. All das wirkte so natürlich, dass es keiner von ihnen für angebracht hielt, befremdet auf diese Täuschungskomödie zu reagieren, die sie miteinander spielten.
»Ich sterbe vor Hunger!«, sagte Maria Claudia. Und ohne abzuwarten, lief sie, noch im Regenmantel, in ihr Zimmer.
»Zieh den Mantel hier aus, Claudia«, sagte die Mutter. »Sonst machst du alles nass.«
Sie erhielt keine Antwort, rechnete auch nicht damit. Sie hatte niemals auch nur die leiseste Hoffnung, dass ihre Ermahnungen und Bemerkungen befolgt wurden, sprach sie dennoch aus, weil sie sich damit die Illusion mütterlicher Autorität verschaffte. Selbst die wiederholten Niederlagen ihrer Autorität hatten ihrer Überzeugung nichts anhaben können.
Anselmos zufriedenes Gesicht verdüsterte sich plötzlich. Ein Funken Misstrauen glomm in seinen Augen auf.
»Geh mal nachsehen, was sie da im Zimmer macht«, wies er seine Frau an.
Rosália gehorchte und ertappte die Tochter dabei, wie sie zwischen den Gardinen nach draußen auf die Straße äugte. Als Maria Claudia die Mutter hörte, drehte sie sich teils frech, teils verlegen lächelnd um.
»Was machst du hier? Warum ziehst du nicht den Mantel aus?«
Sie ging ans Fenster und öffnete es. Genau gegenüber stand ein junger Mann draußen im Regen. Rosália knallte das Fenster wieder zu. Sie wollte schon schimpfen, da begegnete sie dem Blick ihrer Tochter aus eiskalten Augen, in denen bösartiger Groll funkelte. Sie erschrak. Maria Claudia legte ganz in Ruhe ihren Regemantel ab. Ein paar Wassertropfen waren auf den Teppich gefallen.
»Hatte ich nicht gesagt, du sollst den Mantel ausziehen? Sieh dir nur den Fußboden an!«
Anselmo erschien in der Tür. Da sie sich nun unterstützt fühlte, klagte die Mutter:
»Stell dir vor, sie ist hier ans Fenster gegangen und hat zu einem Dummkopf rausgeschaut, der da drüben stand. Garantiert sind sie zusammen hergekommen. Deshalb hat sie sich verspätet!«
Als befände er sich auf einer Bühne und hielte sich an Regieanweisungen, durchmaß Anselmo den Raum und trat auf seine Tochter zu. Claudia hielt den Blick gesenkt, doch nichts an ihr verriet Verlegenheit. Ihre ruhige Miene wirkte abweisend. Viel zu sehr darauf konzentriert, was er sagen wollte, um die Haltung seiner Tochter wahrzunehmen, setzte Anselmo an:
»Also, Claudia, du weißt doch genau, dass sich das nicht gehört. Ein junges Mädchen wie du darf sich nicht einfach begleiten lassen. Was werden die Nachbarn sagen? Wenn die den Mund aufmachen, streuen sie nur Gift. Außerdem enden solche Bekanntschaften nie gut und schaden nur deinem Ruf. Wer ist der Bursche?«
Maria Claudia schwieg. Rosália schäumte vor Empörung, sagte aber nichts. Fest davon überzeugt, dass seine Geste garantiert wirken würde, legte Anselmo seiner Tochter eine Hand auf die Schulter. Und fuhr mit leicht zitternder Stimme fort:
»Du weißt, dass wir dich sehr gernhaben und uns wünschen, dass es dir gutgeht. Du solltest dich nicht für so einen dahergelaufenen Burschen interessieren. Das hat keine Zukunft. Verstehst du?«
Maria Claudia hob den Blick. Mit einer knappen Schulterbewegung schüttelte sie die Hand ab und antwortete:
»Ja, Papa.«
Anselmo frohlockte. Seine
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