Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
durch viele Straßen gelaufen, hatte viele Gesichter gesehen, war vielen Menschen gefolgt. Und nun saß er hier, in Silvestres Hinterhof, rauchte eine Zigarette und zuckte die Achseln über das Leben … »Ich bin wie Romeo in Capulets Garten«, dachte er. »Es fehlt nur der Mond. Statt der unschuldigen Julia haben wir hier die erfahrene Lídia. Statt des lieblichen Balkons das Fenster eines Badezimmers. Die Rettungsleiter statt der Strickleiter.« Er zündete sich eine neue Zigarette an. »Gleich wird sie sagen: ›Wer bist du, der du, von der Nacht beschirmt, dich drängst in meines Herzens Rat?‹«
Er lächelte nachsichtig, weil er Shakespeare zitierte. Vorsichtig, um nicht auf die Kohlpflanzen zu treten, ging er zu der Mauer und setzte sich darauf. Er war eigenartig trauriger Stimmung. Wahrscheinlich lag es am Wetter. Es war schwül, Vorboten eines Gewitters lagen in der Luft. Wieder blickte er nach oben: Lídia kam aus dem Badezimmer. Vielleicht, weil auch ihr zu warm war, öffnete sie das Fenster und beugte sich hinaus.
»Julia hat Romeo erblickt«, dachte Abel. »Was wird jetzt geschehen?« Er erhob sich von der Mauer und ging in die Gartenmitte. Lídia verharrte im Fenster. »Jetzt müsste ich ausrufen: ›Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?
Es ist der Ost, und Julia die Sonne!‹«
»Guten Abend«, sagte Abel lächelnd.
Kurze Stille. Dann erklang Lídias Stimme.
»Guten Abend«, und sie verschwand.
Abel warf die Zigarette weg, und während er zurück zum Haus ging, murmelte er amüsiert:
»Dass die Szene so enden könnte, darauf ist Shakespeare nicht gekommen …«
17
H enriques Zustand verschlechterte sich überraschend. Der eilig herbeigerufene Arzt ließ ihn auf Diphtheriebazillen untersuchen. Das Kind hatte hohes Fieber und delirierte. In ihrer Verzweiflung beschuldigte Carmen ihren Mann, er sei dafür verantwortlich, dass die Krankheit sich so entwickelt habe. Es kam zu einer hässlichen Szene. Emílio hörte sich alles an und gab, wie üblich, keine Antwort. Er wusste, dass seine Frau recht hatte, dass sie schon vorher den Arzt hatte holen wollen. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Den ganzen Sonntag saß er bei seinem Sohn, und am Montag machte er sich sofort auf, um zur genannten Uhrzeit das Untersuchungsergebnis abzuholen. Er atmete erleichtert auf, weil es negativ war, doch die Erklärung auf dem Vordruck, dass in vielen Fällen eine einzige Analyse nicht ausreiche, versetzte ihn erneut in Sorge.
Der Arzt zeigte sich zufrieden und kündigte eine rasche Besserung an, sobald eine Frist von vierundzwanzig Stunden verstrichen sei. Emílio wich den ganzen Tag nicht vom Bett des Kranken. Carmen, seit der Szene still und kühl, konnte die Anwesenheit ihres Mannes kaum ertragen. An normalen Tagen regte seine Anwesenheit sie auf; nun, da ihr Mann das Zimmer nicht verließ, hatte sie das Gefühl, ihr würde das Kostbarste geraubt: die Liebe ihres Sohnes.
Um Emílio aus der Wohnung zu treiben, erinnerte sie ihn daran, dass er nichts verdiente, wenn er zu Hause herumsaß, und dass sie wegen der Kosten, die die Krankheit verursachte, dringend Geld brauchten. Wieder reagierte Emílio mit Schweigen. Auch dieses Mal hatte seine Frau recht, er täte viel besser daran, Henrique ihrer Fürsorge zu überlassen. Doch er ging nicht aus dem Haus. Er hatte sich auf den Gedanken versteift, er sei an dem Rückfall schuld, denn erst nach dem, was er zu seinem Sohn gesagt hatte, war sein Zustand schlimmer geworden. Seine Anwesenheit war eine Buße, nutzlos wie alle Bußübungen und nur verständlich, weil sie freiwillig geschah.
Obwohl seine Frau darauf drängte, ging er nicht zur gewohnten Zeit zu Bett. Um zu demonstrieren, dass sie ihm in der Liebe zu ihrem Sohn nicht nachstand, ging auch sie nicht schlafen.
Viel konnten sie nicht tun. Die Krankheit nahm nach der Krise ihren normalen Verlauf. Das Kind hatte die Medikamente erhalten, nun galt es, die Wirkung abzuwarten. Doch wollte keiner von beiden weichen. Zwischen ihnen spielte sich eine Art Wettstreit, ein stummer Kampf ab. Carmen kämpfte darum, dass ihr die Zuneigung ihres Sohnes erhalten blieb. Emílio wollte mit seiner Zuwendung lediglich sein schlechtes Gewissen beruhigen und seine frühere Gleichgültigkeit wettmachen. Ihm war bewusst, dass der Kampf seiner Frau edler war. Er liebte seinen Sohn, gewiss, schließlich hatte er ihn gezeugt, da konnte er nicht anders, als ihn lieben. Das Gegenteil wäre unnatürlich. Doch hatte er das
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