Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
aktiv; er willenlos. Sie bestand ganz und gar aus Nerven, Knochen und Muskeln, dem Stoff, der Kraft und Macht erzeugt; er hatte all das auch, doch bei ihm geboten Unzufriedenheit und Ratlosigkeit über Knochen, Muskeln und Nerven, hüllten sie in den Nebel der Schwäche.
Emílio stand auf und ging in das Zimmer seines Sohnes. Henrique schlief unruhig, wachte immer wieder auf und dämmerte erneut weg. Seine trockenen Lippen gaben unzusammenhängende Worte von sich. Durchsichtige Bläschen in den Mundwinkeln zeigten an, dass er fieberte. Behutsam schob Emílio dem Kind das Thermometer unter die Achsel. Er wartete die erforderliche Zeit ab, dann ging er zurück ins Esszimmer. Carmen blickte von ihrer Näharbeit auf, fragte aber nichts. Er sah auf das Thermometer: 39 , 2 . Das Fieber ging anscheinend runter. Er legte das Thermometer auf den Tisch, für Carmen erreichbar. Obwohl sie darauf brannte, zu erfahren, was es anzeigte, streckte sie die Hand nicht danach aus. Sie wartete darauf, dass ihr Mann etwas sagte.
Emílio ging zögerlich ein paar Schritte. Die Uhr in der Wohnung über ihnen schlug drei Mal. Carmen wartete, inzwischen pochten ihr die Schläfen, sie biss die Zähne zusammen, um ihren Mann nicht zu beschimpfen. Wortlos ging Emílio schlafen. Er war müde vom langen Aufbleiben, war seiner Frau müde und seiner selbst. Beklemmung schnürte ihm die Kehle zu – sie machte es ihm unmöglich, zu sprechen, zwang ihn, sich zurückzuziehen, als wollte er sich verstecken, um zu weinen oder zu sterben.
Für Carmen war dies der vollendete Beweis dafür, dass ihr Mann keinerlei menschliches Gefühl besaß. Nur ein Unmensch konnte sich so verhalten: sie mit ihrer Besorgnis allein lassen und schlafen gehen, als ginge es um nichts Ernstes, als wäre die Krankheit ihres Sohnes nur ein Spaß.
Sie stand auf und trat an den Tisch. Warf einen Blick auf das Thermometer. Dann kehrte sie an ihren Platz zurück. Sie blieb die ganze Nacht wach. Wie im Mittelalter die Sieger einer Schlacht verharrte sie nach dem Kampf auf dem Schlachtfeld. Sie hatte gesiegt. Und außerdem hätte sie in dieser Nacht die Berührung ihres Mannes nicht ertragen können.
18
C aetano Cunha führte aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit notgedrungen ein Leben, das dem einer Fledermaus ähnelte. Wenn andere schliefen, arbeitete er, und wenn er, Fenster und Augen geschlossen, im Bett lag, gingen die anderen bei Tageslicht zur Arbeit. An diesem Umstand maß er seine Wichtigkeit. Er war der festen Überzeugung, dass er bedeutender war als das Gros der Menschen, und zwar aus mehreren Gründen, von denen ein nicht unwesentlicher darin bestand, dass er nachts, wenn die Stadt schlief, an der Setzmaschine saß.
Wenn er, noch bei Dunkelheit, das Zeitungshaus verließ und die menschenleeren Straßen von der Feuchtigkeit glänzten, die in diesen frühen Morgenstunden vom Fluss kam, war er glücklich. Bevor er nach Hause ging, lief er gern durch die stillen Straßen, in denen hier und da Frauengestalten auftauchten. Trotz seiner Müdigkeit blieb er stehen und unterhielt sich mit ihnen. Wenn ihm der Sinn nach mehr stand, ging er mit, aber wenn nicht, dann war er mit einer Unterhaltung zufrieden.
Caetano liebte die Frauen, alle Frauen. Allein der Anblick eines wippenden Rockes brachte ihn in Wallung. Leicht zu erobernde Frauen übten auf ihn eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Laster, Ausschweifungen, käufliche Liebe, all das faszinierte ihn. Er kannte nahezu sämtliche Freudenhäuser der Stadt, wusste die Preise in- und auswendig und konnte (worauf er innerlich stolz war) die Namen von etlichen Dutzend Frauen nennen, mit denen er geschlafen hatte.
Nur eine von all den Frauen verachtete er: seine eigene. Justina war für ihn ein geschlechtsloses Wesen, das weder Bedürfnisse noch Begierden besaß. Wenn sie ihn im Bett zufällig berührte, rückte er angewidert von ihr ab, ihre Magerkeit, ihre spitzen Knochen, ihre ungemein trockene, fast pergamentartige Haut stießen ihn ab. »Das ist keine Frau, das ist eine Mumie«, dachte er.
Justina sah die Verachtung in seinem Blick und schwieg. Das Feuer der Begierde war in ihr erloschen. Sie erwiderte die Verachtung ihres Mannes mit noch größerer Verachtung. Sie wusste, dass er sie betrog, und zuckte darüber die Achseln, duldete aber nicht, dass er zu Hause mit seinen Eroberungen prahlte. Nicht weil sie eifersüchtig war, sondern weil sie im Bewusstsein dessen, dass sie tief gefallen war, als sie sich an einen
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