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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Carmen noch einmal, aus Furcht, sein Schweigen bedeute Ablehnung.
    »Und?! … Mir recht.«
    Nur diese beiden Wörter. Zum ersten Mal seit vielen Jahren waren die drei Menschen in dieser Wohnung zufrieden. Für Henrique war es die Aussicht auf Ferien, auf den Zug »Tschucke-tschuck-tschucke-tschuck«, auf all die Herrlichkeiten, mit denen Reisen für Kinder verbunden sind. Für Emílio und Carmen die Aussicht, sich von dem Albtraum zu befreien, der sie aneinanderkettete.
    Das Abendessen verlief friedlich. Es gab Lachen und freundliche Worte. Henrique freute sich. Die Eltern schienen glücklich zu sein. Selbst die Küchenlampe leuchtete scheinbar heller. Alles war heller und klarer.

29
    V on der nächtlichen Szene, als Justina sich ihrem Mann zum ersten Mal nackt gezeigt hatte, wurde nie gesprochen. Caetano war dafür zu feige, Justina zu stolz. Zurück blieb noch eisigere Kälte. Wenn Caetano von der Arbeit kam, ging er für den Rest der Nacht und den Morgen in ein anderes Bett. Nach Hause kam er erst zum Mittagessen. Danach legte er sich hin und schlief den ganzen Nachmittag. Wenn sie sich verständigen mussten, taten sie dies mit kurzen Sätzen und einsilbigen Antworten. Noch nie hatten sie einander so vollständig verabscheut. Caetano ging seiner Frau aus dem Weg, als fürchtete er, sie könnte plötzlich nackt vor ihm stehen. Justina ihrerseits vermied nicht, ihn anzusehen, doch tat sie dies verächtlich, ja nahezu unverschämt. Er spürte den Blick und kochte innerlich vor Wut. Er wusste, dass viele Männer ihre Frauen schlugen und dass die Männer und die Frauen dies für normal hielten. Er wusste, dass dies für viele als Ausdruck ihrer Männlichkeit galt, so wie viele in Geschlechtskrankheiten ein Zeichen von Männlichkeit sahen. Zwar konnte er mit seinen venerischen Leiden prahlen, sich jedoch nicht damit rühmen, jemals seine Frau verprügelt zu haben. Es war für ihn keine Frage des Prinzips, auch wenn er dies gern behauptet hätte, sondern pure Feigheit. Ihn schreckte Justinas Gelassenheit, die sie nur ein einziges Mal abgelegt hatte, und das unter für ihn beschämenden Umständen. Er sah sie immer wieder vor sich, hatte ihre magere, nackte Gestalt vor Augen, hörte ihr Gelächter, das fast wie Schluchzen klang. Die Reaktion seiner Frau hatte, weil sie so unerwartet war, das Minderwertigkeitsgefühl noch verstärkt, das er ihr gegenüber seit langem empfand. Deshalb ging er ihr aus dem Weg. Deshalb verbrachte er so wenig Zeit wie möglich zu Hause, deshalb vermied er es, neben ihr zu schlafen. Und es gab noch einen Grund. Er wusste, wenn er neben ihr im Bett lag, würde er sich nicht davon abhalten können, sie zu besitzen. Als ihm das zum ersten Mal bewusst wurde, erschrak er. Er wollte es abwehren, beschimpfte sich als Idioten, zählte sämtliche Gründe auf, die es ihm eigentlich unmöglich machen mussten: der reizlose Körper, der frühere Abscheu, ihre Verachtung. Doch je mehr er aufzählte, umso furioser entbrannte seine Begierde. Um sie zu dämpfen, verausgabte er sich möglichst außer Haus, was ihm jedoch nie ganz gelang. Leer, ausgebrannt, hohläugig und mit weichen Knien kam er nach Hause, doch kaum spürte er Justinas besonderen Körpergeruch, brandete die Woge seiner Begierde aus seinem tiefsten Inneren auf. Als sähe er nach einer langen Abstinenz zum ersten Mal wieder eine Frau in greifbarer Nähe. Wenn er sich nach dem Mittagessen hinlegte, quälte ihn die Wärme des Bettzeugs. Lag ein Kleidungsstück seiner Frau auf einem Stuhl, zog es seinen Blick auf sich. Im Geiste verlieh er dem leeren Kleid, dem zusammengefalteten Strumpf Konturen und Bewegung des lebendigen Körpers, des angespannt zuckenden Beins. Seine Phantasie schuf perfekte Formen, die bei weitem nicht der Wirklichkeit entsprachen. Und wenn Justina in diesem Augenblick das Schlafzimmer betrat, musste er seine ganze Widerstandskraft aufbieten, um nicht aus dem Bett zu springen und sie zu packen. Er war von niederster Sinnlichkeit besessen. Er hatte erotische Träume wie ein Heranwachsender. Er forderte seine Gelegenheitsgeliebten bis zur Erschöpfung und beschimpfte sie, weil sie ihn nicht zur Ruhe brachten. Wie eine lästige Fliege piesackte ihn ständig das Verlangen. Wie ein Schmetterling, der vom Licht auf einer Körperseite gelähmt ist und deshalb immer engere Kreise beschreibt, bis er in der Flamme verbrennt, kreiste er um seine Frau, angelockt von ihrem Geruch und ihren groben Formen, die die Liebe nicht modelliert

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