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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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kurz, dann ging sie unter. Wie wahnsinnig bewegte Justina sich im Rhythmus der Umarmung ihres Mannes. Ihr hagerer Körper verschwand fast unter seinem. Sie bebte und wand sich, nun auch sie rasend, nun auch sie dem blinden Trieb unterworfen. Eine Art Röcheln erklang gleichzeitig, und schwer atmend wälzten sich die umschlungenen Körper.
    Dann, vom gleichen Widerwillen gepackt, lösten sie sich voneinander. Schweigend, ein jeder auf seiner Seite, holten sie Luft. Caetanos keuchender Atem übertönte den seiner Frau. Von ihrer Anwesenheit zeugten nur ein paar letzte bebende Bewegungen.
    Leere war in Justinas Kopf. Ihre Glieder waren matt und schmerzten. Der starke Körpergeruch ihres Mannes hatte sich in ihrer Haut festgesetzt. Schweißtropfen rannen ihr aus den Achseln. Und tiefe Trägheit machte ihr jede Bewegung unmöglich. Sie spürte noch das Gewicht ihres Mannes. Langsam streckte sie den Arm aus und löschte das Licht. Nach und nach ging Caetanos Atem gleichmäßiger. Befriedigt sank er in den Schlaf. Justina blieb allein zurück. Ihr Zittern hatte aufgehört, die Erschöpfung nachgelassen. Nur ihr Kopf konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Bruchstückhaft stiegen Gedanken auf. Ohne jeden Zusammenhang und ohne logische Fortsetzung kamen und gingen sie. Justina wollte darüber nachdenken, was geschehen war, wollte einen der flüchtigen Gedanken festhalten, die in ihr hochkamen und verschwanden wie Bohnen, die in kochendem Wasser aufsteigen und gleich wieder nach unten sinken. Doch dazu war es noch zu früh. Es sollte ihr auch nicht so bald gelingen, denn unvermittelt machte sich Schrecken in ihr breit. Was Minuten zuvor geschehen war, empfand sie als so absurd, dass sie glaubte, sie habe geträumt. Doch ihr geschundener Körper und ein merkwürdiges Gefühl von undefinierbarer Erfüllung in bestimmten Leibesgegenden widersprachen dem. Jetzt, und erst jetzt, überkam sie Entsetzen, begriff sie die ganze Ungeheuerlichkeit.
    Die restliche Nacht lag sie wach. Starrte verwirrt in die Dunkelheit, unfähig, klar zu denken. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass sich die Beziehung zu ihrem Mann verändert hatte. Als wäre sie aus der Finsternis ins helle Licht getreten und wäre einen Augenblick blind für die Dinge ringsum, könne zwar ihre Umrisse erahnen, sähe sie aber nur als unförmigen Fleck. Sie hörte jeden Stundenschlag der Uhr. Sie erlebte, wie die Nacht sich zurückzog und der Morgen anbrach. Bläuliches Licht breitete sich hier und da im Schlafzimmer aus. Der Rahmen der Tür zum Flur hin zeichnete sich im Dämmerlicht schimmernd ab. Während der Tag anbrach, waren gleichzeitig die ersten Geräusche im Haus zu hören. Caetano lag schlafend auf dem Rücken, ein Bein bis zur Leiste unbedeckt, ein Bein, so weiß und weich wie der Bauch eines Fisches.
    Justina überwand die Benommenheit, die ihre Glieder lähmte, und richtete sich auf. Mit gebeugtem Rücken und hängendem Kopf blieb sie sitzen. Ihr ganzer Körper schmerzte. Vorsichtig, um ihren Mann nicht zu wecken, stand sie auf, zog den Morgenrock an und verließ das Schlafzimmer. Noch immer war sie nicht in der Lage, zwei zusammenhängende Gedanken zu denken, doch jenseits dieser Unfähigkeit begann das unfreiwillige Denken zu arbeiten, jenes, das sich unabhängig von unserem Willen abspielt.
    Justina erreichte nach wenigen Sekunden das Badezimmer. Einen Moment später hob sie den Kopf und blickte in den Spiegel. Sie sah sich und erkannte sich nicht. Das Gesicht, das sie vor sich sah, gehörte nicht zu ihr, oder es war bislang verborgen gewesen. Dunkle Ringe um die Augen ließen sie noch lebloser aussehen. Ihre Wangen wirkten eingefallen. Die zerzausten Haare erinnerten an die nächtliche Aufregung. Doch dieser Anblick war für sie nichts Neues – seit der Diabetes sich verschlimmerte, zeigte der Spiegel ihr dieses Bild. Neu war ihr Gesichtsausdruck. Sie sollte erbost sein, war aber ruhig, sie sollte sich angegriffen fühlen, aber sie fühlte sich, als hätte sie eine Beleidigung verziehen.
    Sie setzte sich im Erker auf einen Hocker. Die Sonne schien schon durch die oberen Scheiben und malte einen rosa Lichtstreifen auf die Wand, der immer breiter und heller wurde. Schwalben zwitscherten in der frischen Morgenluft. Ohne zu überlegen, ging sie spontan ins Schlafzimmer zurück. Ihr Mann hatte sich nicht bewegt. Er schlief mit offenem Mund, die weißen Zähne leuchteten in dem vom Bart dunklen Gesicht. Langsam ging sie zu ihm und beugte sich über ihn.

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