Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
wusch sich gründlich und zog sich an, stopfte ihre Wintersachen und die Stiefel in die Reisetasche und verschloss sie. Thomas Whittler saß bereits am Frühstückstisch und schaufelte Pfannkuchen mit Sirup in sich hinein, als sie den Wohnraum betrat. Er bot ihr einen Stuhl an. »Setzen Sie sich, Clarissa. Ich sehe, die Sachen passen Ihnen. Rührei mit Schinken? Pfannkuchen mit Sirup?« Er wandte sich an die Indianerin. »Bringen Sie beides, Mary!«
»Ich habe keinen Hunger«, erwiderte Clarissa trotzig.
»Wir haben eine lange Reise vor uns, Clarissa. Wer weiß, was sie uns auf dem Schiff servieren.« Der Millionär schob sich einen Bissen in den Mund. »Wir werden mit einem Frachter unterwegs sein, müssen Sie wissen, auf einem Passagierdampfer wäre mir die Gefahr, dass man Sie erkennt, viel zu groß. Ich glaube zwar, dass Sie einsichtig genug sind, um Ihre Freundin nicht in Gefahr zu bringen, aber warum soll ich ein unnötiges Risiko eingehen? Auf einem Frachter sind wir sicher. Die Staatsanwaltschaft darf auf keinen Fall erfahren, dass wir beim Berufungsprozess eine neue Zeugin aufbieten.«
Die Indianerin brachte das Frühstück und schenkte ihr frisch aufgebrühten Tee ein. Nur wenige Menschen lebten so luxuriös wie Thomas Whittler in der Wildnis. Sogar ein Glas mit frischem Orangensaft gab es. »Die Orangen hat mir ein Freund aus Kalifornien geschickt«, erklärte der Millionär lächelnd.
Wahrscheinlich, um einen Auftrag für die Alaska Central zu bekommen, verdächtigte sie ihn sofort. Sie wollte gern mutiger sein, den Teller mit dem Rührei von sich schieben, um ihm ihre Verachtung zu zeigen, doch sie hatte seit Tagen nichts Anständiges mehr gegessen und solchen Hunger, dass sie nicht lange widerstehen konnte. Den spöttischen Blick des Millionärs übersah sie.
»Ich werde nicht ins Gefängnis gehen«, sagte sie.
»Sie werden das tun, was ich Ihnen sage, Clarissa.« Seine Stimme klang plötzlich hart und unnachgiebig. »Und glauben Sie nicht, dass ich nur ein Druckmittel gegen Sie habe. Falls meine Männer gezwungen sein sollten, Ihre Freundin umzubringen, werden sie sich Dolly O’Rourke schnappen, und wenn das nichts nützt, greifen sie sich Ihren Mann. Für mich arbeiten viele Männer, und wenn ich Verstärkung brauche, brauche ich nur meine Brieftasche zu öffnen und verfüge über eine ganze Armee. Also sehen Sie sich vor!«
Der Kutscher, der sie nach dem Frühstück abholte, hatte wohl Anweisung, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, und fuhr über einige Nebenstraßen zum Hafen. Vor dem Pier, an dem die SS Humboldt vertäut lag, hielt er an. Ein kräftiger Matrose erschien und begrüßte sie. »Sir? Ma’am?« Anscheinend hatte ihm niemand verraten, wer sie waren. Er half ihnen beim Aussteigen und wuchtete ihre Reisetasche und Whittlers Koffer vom Kutschendach. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen? Captain McLain erwartet Sie bereits.«
Die Humboldt war ein mittelgroßer Dampfer mit einem hoch aufragenden Bug und großen Frachträumen. Die Brücke und die vier Kabinen lagen unter den Aufbauten im mittleren Teil des Schiffes. Der Matrose hielt sie zurück, bis ein schiffseigener Kran eine schwere Kiste an Bord gehievt hatte, dann führte er sie über die schmale Gangway an Bord und zu ihren Kabinen. Die Verwunderung darüber, dass Whittler und Clarissa zwei Kabinen bewohnten, entlockte ihm ein leichtes Grinsen. Er wandte sich rasch ab, brachte den Koffer und die Tasche hinein und salutierte, als er den Captain kommen sah.
»Willkommen an Bord!«, begrüßte sie der Captain. »Ich bin Captain Angus McLain.« Er war ein stämmiger Mann mit roten Haaren, offensichtlich ein Ire, doch er hatte wenig mit Dollys Ehemann und seinen Freunden gemein, dazu war zu viel Hinterlist in seinen Augen. »Haben Sie das Geld?«
Whittler zog einen Umschlag aus seiner Innentasche und reichte ihn dem Captain. Der stellte sich gegen den Wind und zählte in aller Seelenruhe die Scheine durch. »Und noch einmal denselben Betrag, wenn wir in Vancouver sind«, sagte er lächelnd. Wenn Clarissa richtig mitgezählt hatte, waren es tausend Dollar. Eine gewaltige Summe, nur um sie möglichst ohne Aufsehen nach Vancouver zu schmuggeln und der Staatsanwaltschaft das Nachsehen zu geben.
Und ein sicheres Indiz dafür, dass er fest entschlossen war, alles für seinen Sohn und die Ehre seiner Familie zu tun und auf keinen Fall darauf verzichten würde, sie hinter Gitter zu bringen. Auch ein Millionär zahlte nicht solche
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