Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
Thomas Whittler ging, würde sie ihr Baby im Gefängnis bekommen, und vielleicht würde man es ihr sogar wegnehmen und von einem anderen Ehepaar adoptieren lassen. Ein unerträglicher Gedanke! Es musste doch einen Weg geben, Thomas Whittler von seinem niederträchtigen Plan abzubringen, ohne dass Betty-Sue etwas geschah. Half ihr denn niemand?
Während sie durch die schmale Inside Passage zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln fuhren, suchte sie krampfhaft nach einem Ausweg. Nach Bones hielt sie vergeblich Ausschau. Der Geisterwolf ließ sich nicht mehr blicken und schien sie im Stich gelassen zu haben. Oder stellte er sie nur auf eine besonders harte Probe? Wartete er lediglich darauf, dass sie selbst die Initiative übernahm? Holte er Alex aus seinem Exil bei dem Medizinmann und setzte er ihn auf ihre Spur? Ließ er sich bei Dolly und ihrem Mann blicken?
Ihr fiel die Fotografie ein, die Whittler ihr gezeigt hatte. Die beiden Männer, die Betty-Sue entführt hatten und sie mit einem Messer bedrohten. In der Nähe einer Telegrafenstation sollten sie sich in einer einsamen Hütte aufhalten. Wenn sie die Fotografie nach Fairbanks schickte, bekam vielleicht jemand heraus, wo diese Hütte war oder wer die Aufnahme gemacht hatte. So viele Fotografen gab es im hohen Norden nicht, und ein Mann mit einer schweren Kamera war bestimmt aufgefallen. Auch wenn er die Fotografie vielleicht für einen Scherz hielt, fühlte sich Deputy U.S. Marshal Chester Novak eventuell bemüßigt, der Sache nachzugehen. Ohne die Fotografie nahm sicher jeder an, Betty-Sue würde den Sommer in einem Indianerdorf verbringen, und sie selbst wäre zu ihrem Mann in die White Mountains gezogen. Nur Dolly hegte vielleicht einen Verdacht. Sie war zumindest misstrauisch geworden, als der Planwagen mit Smith und Raven an ihr vorbeigefahren war.
Mit der Fotografie wäre vieles einfacher. Aber Whittler hatte sie in die Innentasche seiner Anzugjacke gesteckt, und sie war keine Taschendiebin, die sie ihm unauffällig entwenden konnte. Sie musste es nachts versuchen. Sich in seine Kabine schleichen, die Fotografie aus der Tasche ziehen und nach Fairbanks schicken, am besten an Dolly. Wenn sie einen Umschlag fand. Wenn es ihr gelang, im nächsten Hafen das Schiff zu verlassen und ein Post Office zu finden. Zum Glück hatte sie noch ein paar Goldkörner für das Porto übrig.
Sie musste beinahe lachen, als sie über all die Hindernisse nachdachte, die sie überwinden musste, und doch gab es keinen anderen Ausweg. Bevor sie selbst an Flucht denken konnte, musste Betty-Sue aus den Klauen der Banditen befreit werden. Ihre Hände krallten sich um die Reling. Nur nicht länger darüber nachdenken, sagte sie sich, tu es einfach, noch heute Nacht!
Nach dem Abendessen, das wie jeden Abend aus einem versalzenen Eintopf mit wenig Fleisch bestand, blieb sie angezogen auf ihrem Bett liegen. Sie wartete geduldig, bis das laute Schnarchen des Millionärs durch die Wand drang, und gab noch zehn Minuten dazu, bevor sie sich aus ihrer Kabine wagte. Kühler Wind wehte ihr entgegen, als sie die Tür öffnete. Es war kein Matrose in der Nähe zu sehen, und die Brücke lag weiter vorn, sodass sie auch der Captain nicht sehen konnte. Sie drückte ihre Tür zu und ging die paar Schritte zur Nachbarkabine, aus der immer noch heftiges Schnarchen drang.
Auch Whittler ließ seine Tür nachts unverschlossen und schnarchte seelenruhig weiter, als sie in seine Kabine huschte und die Tür hinter sich verschloss. In der Kabine blieb sie minutenlang stehen und wartete geduldig, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Auf Zehenspitzen schlich sie an seinem Bett vorbei zu dem Ständer, über dem seine Jacke hing. Den Blick auf sein Gesicht gerichtet, das sich blass von der Dunkelheit abhob, griff sie in die Innentasche, tastete seine Brieftasche und fand nach einigem Suchen die Fotografie. Schnell nahm sie sie heraus. Die Brieftasche steckte sie in die Tasche zurück.
Sie war bereits auf dem Rückweg, als das Schnarchen plötzlich verstummte. Whittler setzte sich auf und starrte sekundenlang in die Dunkelheit, sank zurück auf sein Kissen und schnarchte weiter. Clarissa löste sich aus ihrer Erstarrung und schlich weiter, erreichte die Tür und öffnete sie, so weit es nötig war. Mit einem raschen Schritt verließ sie die Kabine. Sie kehrte in ihre Unterkunft zurück, sank auf ihr Bett und begann zu weinen. »Oh verdammt!«
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Sie betrachtete die Fotografie im
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