Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
Lichtschein ihrer Petroleumlampe und spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Der Anblick ihrer verschüchterten Freundin machte ihr schwer zu schaffen, und sie hoffte nur, dass ihr die Entführer nichts antaten. Betty-Sue hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie war nur in die Hände ihrer Entführer geraten, weil sie ihre Freundin war und Whittler nach einem wirksamen Druckmittel gesucht hatte. Ein perfider Schachzug, auf den nur ein hinterhältiger Schurke wie er kommen konnte.
Sie kannte die Männer auf der Fotografie nicht und hatte keine Ahnung, wo die Aufnahme entstanden sein könnte. In Fairbanks gab es mehrere Fotografen, aber vielleicht hatte Whittler auch einen Fotografen aus Dawson City oder anderswo geschickt, die Aufnahme zu machen. Mit Geld ließ sich vieles erkaufen, auch die Verschwiegenheit eines Fotografen. Außer den beiden Männern, die wie Goldsucher gekleidet waren, konnte man auf der Fotografie kaum etwas erkennen. Die Umrisse einer Hüttenwand, ein Elchgeweih und ein Foto, das nur verschwommen zu sehen war. Zwei Petroleumlampen, die von Stützbalken herunterhingen und die Szene auf gespenstische Weise beleuchteten.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und suchte nach Briefpapier und einem Umschlag, doch die Schubladen der einzigen Kommode waren leer. Enttäuscht blickte sie in die Runde. Erst als ihr Blick auf den Anorak fiel, den sie an einen Haken neben der Tür gehängt hatte, erinnerte sie sich an den Merkzettel, den sie zum Einkaufen nach Fairbanks mitgenommen hatte. Der gefaltete Briefbogen, den Dolly ihr gegeben hatte, und der Bleistift waren noch in der rechten Tasche. Sie setzte sich auf den Bettrand, nahm die Bibel vom Nachttisch als Unterlage und schilderte Dolly in knappen Worten, was geschehen war. »Ich weiß nicht, wann die neue Verhandlung stattfinden wird, und ob Thomas Whittler mich ins Gefängnis werfen lässt, aber solange Betty-Sue in der Gewalt dieser Männer ist, muss ich alles tun, was er von mir verlangt. Zeig die Fotografie herum. Vielleicht erkennt jemand die Männer oder die Hütte. Der Marshal soll Betty-Sue so schnell wie möglich befreien. Erst wenn Betty-Sue frei ist, kann ich versuchen, Whittler zu entkommen. Schick ein Telegramm an die Province, die größte Zeitung in Vancouver, die bringen dann bestimmt eine Meldung, dann weiß ich, dass Betty-Sue nichts mehr passieren kann. Sag Alex nur etwas, falls er nach Hause kommt. Und sag ihm und Jerry und allen anderen Männern, die es gut mit mir meinen, dass es keinen Zweck hat, mir nach Vancouver nachzureisen. Das würde viel zu lange dauern. Ich muss versuchen, allein aus diesem Schlamassel herauszukommen. Bisher hab ich doch immer geschafft, wieder aufzustehen, wenn ich am Boden lag, oder etwa nicht? Es grüßt Dich Deine Freundin Clarissa.«
Sie faltete den Brief zusammen und verstaute ihn zusammen mit der Fotografie in ihrer Manteltasche. Den ersten Schritt hatte sie getan, doch es würde noch wesentlich mehr Anstrengung und einer großen Portion Glück bedürfen, um den Brief auf den Weg nach Norden zu bringen. Nervös blickte sie durch das kleine Fenster auf das Meer hinaus. Düstere Nebelschwaden hingen über dem Meer und ließen kaum etwas erkennen. Der nächste Hafen, den sie ansteuerten, war Sitka, ein ehemals russischer Handelsposten, der zu einer geschäftigen Stadt herangewachsen war. Es würde ihr nicht schwerfallen, dort einen Umschlag zu besorgen, aber wie es ihr gelingen sollte, das Schiff zu verlassen und ungesehen in die Stadt und wieder an Bord zu kommen, wusste sie noch nicht.
Sie erreichten die Stadt am frühen Morgen. Wie Perlen an einer Schnur zogen sich die Häuser der Hauptstraße an der halbmondförmigen Crescent Bay entlang. Der Nebel war durchlässiger geworden, und pinkfarbenes Sonnenlicht ließ die beiden Türme der von Russen gegründeten St. Michael’s Cathedral glänzen. Clarissa stand in ihrem Mantel an der Reling, als die Humboldt in den Hafen fuhr, doch ihre Hoffnung, Whittler könnte ihr mehr Freiheiten gewähren, erwies sich als trügerisch. Noch während der Frachter anlegte, winkte er sie in ihre Kabine und verschloss sie mit dem Schlüssel, den er sich vom Captain hatte geben lassen. Sie verwünschte ihn in Gedanken, wusste aber auch, dass sie sich mit einer Schimpftirade nur noch mehr schaden würde.
Durch das schmutzige Fenster beobachtete Clarissa, wie die Matrosen und Hafenarbeiter die Fracht löschten, auf dem Pier stapelten oder auf die
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