Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
bereitstehenden Fuhrwerke luden. Thomas Whittler blieb in seinem langen Pelzmantel, der eigentlich viel zu warm für den Frühling war, selbst in Alaska, an der Reling stehen und zündete sich eine Zigarre an. Als der Captain erschien, nahm er die Zigarre aus dem Mund und sagte: »Ah, da sind Sie ja, Captain! Sie kennen doch sicher ein gutes Lokal in Sitka. Die Kost, die mir Ihre Matrosen vorsetzen, erscheint mir, gelinde gesagt, etwas eintönig. Mir ist mehr nach Rühreiern mit Schinken und starkem Kaffee, von dem ich keine Magenschmerzen bekomme. So was gibt es doch? Kommen Sie, ich lade Sie ein!«
Captain McLain schien auf eine solche Einladung gewartet zu haben und lächelte zufrieden. »Eine gute Idee, Sir. Bei Rosie’s gibt’s das beste Essen nördlich von Vancouver, und der Kaffee soll auch nicht zu verachten sein. Ich persönlich bevorzuge Tee mit Rum.« Er deutete mit dem Daumen hinter sich. »Und die Lady bleibt in ihrer Kabine? Die muss einiges auf dem Kerbholz haben, wenn Sie so streng mit ihr sind. Wir könnten sie doch mitnehmen.«
»Nicht Ihr Problem, Captain. Sie haben Ihr Geld bekommen, und damit hat es sich. Ich will weder, dass Sie oder einer Ihrer Matrosen sich der Dame in irgendeiner Weise nähern, noch kann ich zulassen, dass über sie gesprochen wird. Sie haben gutes Geld bekommen, mit Sicherheit mehr, als Sie in einem Jahr auf Ihrem Frachter verdienen, also kein Wort mehr über die Dame.«
»Aye, Sir. Ich schweige wie eine Muschel. Nur schade, dass eine so hübsche Frau …« Er sah den warnenden Blick in Whittlers Augen. »Gehen wir.«
Clarissa blickte den Männern hinterher, sah sie das Schiff verlassen und zur Hauptstraße hinaufgehen. Ein betrügerischer Millionär und ein bestechlicher Schiffskapitän, der nicht davor zurückschreckte, sie der Willkür von Whittler zu überlassen. Sie war nahe daran, verächtlich auf den Boden zu spucken. Keinen Funken Ehre hatten diese beiden Männer im Leibe, der eine geachtet wegen seiner Stellung und seines Geldes, der andere wegen seiner Uniform, sie waren nicht besser als Smith und Raven, Whittlers Handlanger.
Enttäuscht lehnte sie ihre Stirn gegen das kühle Fenster. Solange sie in ihrer Kabine eingeschlossen war, gab es keine Möglichkeit, den Brief abzuschicken. Die Tür war fest verschlossen. Zwei Mal hatte sich der Schlüssel im Schloss gedreht, und selbst ein Mann hätte es schwer gehabt, sie mit Gewalt aufzureißen. Und das Fenster ließ sich ohnehin nicht öffnen. Sie hätte die Scheibe einschlagen müssen, um nach draußen zu kommen, und auch das wäre bei dem dicken Glas nicht einfach gewesen. Selbst wenn sie es geschafft hätte, würde man das Klirren bis in den Hafen und auf die Hauptstraße hören.
Sie überlegte angestrengt. Je eher sie es schaffte, den Brief in einem Post Office abzugeben, umso größer war die Chance, dass sie Betty-Sue befreiten und ihr, Clarissa, zumindest die Möglichkeit eröffneten, Thomas Whittler zu entkommen. Weiter südlich, an der kanadischen Küste, konnte es bereits zu spät sein. Schon jetzt war die Hoffnung sehr gering, dass der Brief innerhalb weniger Tage bei Dolly ankam und sie es schaffte, den Aufenthaltsort der armen Betty-Sue oder ihrer Entführer zu bestimmen und dabei half, ihre junge Freundin aus der Gewalt ihrer Entführer zu befreien. Dem Gedanken, der Marshal könnte daraufhin gleich die North West Mounted Police alarmieren gab sie sich erst gar nicht hin. Dazu müssten die Entführer schon ein umfassendes Geständnis ablegen, und damit war nicht zu rechnen. Thomas Whittler hatte ihnen sicher versprochen, sich um sie zu kümmern, falls man ihnen auf die Schliche käme. Sie musste schon selbst versuchen, ihm zu entkommen.
Vor ihrer Kabine wurden Schritte laut. Sie trat rasch vom Fenster weg und beobachtete, wie ein junger Matrose daran vorbeiging und vor ihrer Tür stehen blieb. »Alles in Ordnung, Ma’am?«, fragte er. Seine Stimme war deutlich zu hören. Sie klang ein wenig schüchtern. »Soll ich Ihnen einen Tee holen?«
Clarissa überlegte. Als Mann könnte sie den Matrosen vielleicht überwältigen und bewusstlos schlagen, aber um gegen einen jungen Matrosen die Oberhand zu behalten, war sie viel zu schwach. Was hätte es auch genützt? Sobald er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht wäre, hätte er seinen Captain und Thomas Whittler alarmiert. Es musste eine andere Möglichkeit geben.
»Nein, danke.« Sie trat ans Fenster und betrachtete den Matrosen von der Seite. Ein
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