Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
frohlockte MacClusky, als seine indianische Frau mit dem Wildeintopf aus der Küche kam. Im Gegensatz zu ihm war sie sehr zierlich und sehr hübsch. Ihre pechschwarzen Haare hingen in langen Zöpfen bis über ihre Schultern. »Dolina«, stellte er sie vor. »So hieß meine Großmutter. Einen indianischen Namen hat sie auch, aber der ist mir zu kompliziert. Ist sie nicht eine Perle? Und kochen kann sie …«
Zum Glück hatte Dolina schon den Eintopf auf den Tisch gestellt, als sie die Eulenfedern in Clarissas Hand bemerkte, sonst wäre ihr der Topf wohl auf den Boden gefallen. Sie stieß einen so lauten Schrei aus, der alle zusammenzucken ließ, und ihr Mann sie entsetzt anstarrte. »Was hast du denn?«
»Die Federn! Sag ihr, sie soll die Federn wegbringen!«
»Welche Federn?«
»Die Eulenfedern! Sie bringen Unglück!«
Clarissa lief rasch zur Tür und warf die Federn in die Luft. Sie wartete, bis der auffrischende Wind sie davongetragen hatte, und kehrte ins Haus zurück. »Sie lagen drüben am Waldrand. Ich dachte, ich hätte jemand gesehen, aber als ich hinkam, war sie weg, und die Eulenfedern lagen auf dem Boden.« Sie blickte die Indianerin an. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Sie?«, fragte MacClusky verwundert. »Wie kommen Sie darauf, dass es eine Frau war? Und warum sollte sie sich am Waldrand verstecken?«
»Dezba«, antwortete Dolina.
»Dezba?«
»Mit ihrem Namen erschreckten meine Vorfahren kleine Kinder. Dezba ist eine Hexe. Ihr Name bedeutet ›Ich ziehe in den Krieg‹, und das tut sie, solange mein Volk in diesem Land lebt. Sie trägt einen Umhang aus schwarzen Eulenfedern und eine Kappe aus dem Fell eines schwarzen Wolfs, und ihr Gesicht ist mit der schwarzen Farbe des Todes bemalt. Der Legende nach verlor Dezba vor langer Zeit ihre kleine Tochter. Seitdem zieht sie rastlos durch die Wälder und stiehlt die Kinder anderer Mütter.«
»Aber das ist doch nur eine Legende«, sagte MacClusky.
»Und woher kamen die schwarzen Federn?«
»Indianischer Hokuspokus! Bring uns lieber Kaffee!«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Clarissa besorgt.
5
N achdem sie zu Bett gegangen waren, schlief Alex sofort ein. Er fand gerade noch die Kraft, ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu hauchen, dann schloss er vor Erschöpfung die Augen. Obwohl er den ganzen Tag auf dem Schlitten gesessen und teilweise schon dort geschlafen hatte, waren die Anstrengung und der Sturz zu viel für ihn gewesen. Im Mondlicht, das durch das kleine Fenster fiel, wirkte er ungewohnt blass und hilflos.
Clarissa sehnte sich nach seiner Berührung, sie hatte zu lange allein geschlafen und auf seine liebevollen Umarmungen verzichtet. In ihrer Fantasie hatte sie sich während der letzten Wochen oft ausgemalt, mit welcher Leidenschaft er sich ihr in der ersten Nacht nach seiner Entlassung widmen würde. In ihren Träumen hatte er sie in seine starken Arme genommen und ihren nackten Körper mit Küssen bedeckt. Sie hatte bei dem Gedanken geseufzt, in dem Gefühl, die schwere Krankheit überwunden zu haben, von ihm geliebt zu werden und diesen feierlichen Augenblick zu erleben, den es vor ihm nur in ihrer Fantasie gegeben hatte. Nie war ihr der Gedanke gekommen, dass er Zeit brauchen würde, um sich von der Operation zu erholen, und dass sie viel Geduld aufbringen musste, bis sie diese zauberhaften Augenblicke wieder erleben wollte.
Sie wandte den Kopf und lächelte zufrieden, als sie bemerkte, wie friedlich und entspannt er im Schlaf aussah. »Ich liebe dich, Alex!«, flüsterte sie. »Und ich werde immer an deiner Seite bleiben, und wenn es hundert Jahre dauert, bis du wieder ganz der Alte bist!« Sie strich mit dem Handrücken zärtlich über seine Wange und kuschelte sich an ihn, genoss seinen warmen und festen Körper und seinen Atem, als er sich zu ihr umdrehte.
Sie konnte noch keine Stunde geschlafen haben, als sie eintöniger Singsang im Schlaf störte. Seufzend richtete sie sich auf. Eine Frauenstimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien. Sie ahnte, wer es war, und kroch so leise wie möglich aus dem Bett. Alex hatte nichts gehört und schlief ruhig weiter. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster, das nach hinten rausging, erkannte im Mondlicht nur dunkle Fichten und das Eis eines schmalen Baches und tastete sich weiter. Der Boden knarrte unter ihren Füßen, als sie durch den Gemeinschaftsraum schlich und aus dem vorderen Fenster blickte. Kalter Wind blies durch undichte Stellen in den Raum.
Dolina stand
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