Clarissa - Wo der Himmel brennt
Fitz ungeduldig zur Seite und untersuchte den Verwundeten. Schon nach wenigen Sekunden erhob er sich. »Ich fürchte, ich kann nicht mehr viel machen. Bringt ihn in meine Praxis. Ich gebe ihm Laudanum, das lindert die Schmerzen.«
Einige Männer, darunter Fitz, trugen den stöhnenden Verwundeten zur Praxis. Den toten Soapy Smith streifte der Arzt nur mit einem flüchtigen Blick. »Tot«, entschied er, »wurde auch höchste Zeit! Der Leichenbestatter soll ihn ein wenig herrichten und dann in eine Kiste sperren. Ich glaube kaum, dass ihm viele Leute in dieser Stadt nachweinen. Er hat viel Leid verursacht.«
Clarissa musste sich an einem Vorbaubalken festhalten, so sehr hatte sie die Schießerei mitgenommen. Während ihrer zwei Jahre in der Wildnis hatte sie so manches gesehen, wie Wölfe den Kadaver eines jungen Elchs zerrissen hatten, wie ein aufgebrachter Grizzly aus dem Busch gebrochen war, wie ein kranker Fuchs im Schnee verendet war, aber keines dieser Erlebnisse hatte ihr so auf den Magen geschlagen wie diese blutige Schießerei. Der gewaltsame Tod eines Menschen war schlimm genug, auch wenn er gerechtfertigt war, und noch fataler war, dass wahrscheinlich auch der Schütze im Sterben lag.
Mrs Buchanan war etwas härter im Nehmen und führte sie ins Haus. »Ich schätze, ein Tee reicht heute nicht. Du brauchst heute einen starken Kaffee. Und wenn du dich von deinem Schrecken erholt hast, kannst du dich auch darüber freuen, dass du heute Abend nicht mit Soapy Smith ausgehen musst, und er dir nichts mehr antun kann. Es ist vorbei, Clarissa, wir sind endlich frei. Ich gehe jede Wette ein, dass sich auch seine Freunde davonmachen.«
So war es tatsächlich. Reverend Ike und die beiden bärtigen Männer ließen sich nicht mehr blicken, und aus den zahlreichen Bürgern, die aus Angst vor Soapy Smith zu Verrätern und Mitläufern geworden waren wie die Jungen, die neu angekommene Passagiere in sein teures Hotel gelockt hatten, oder der Besitzer des Kaufhauses und einige andere Ladenbesitzer, die einen Teil ihres Einkommens an ihn abgeführt und ihm ständig nach dem Mund geredet hatten, waren plötzlich ehrbare Bürger geworden, die schon immer dafür gewesen waren, den Verbrecherkönig für seine Taten einzusperren oder zu hängen. Nur US Deputy Marshal Tanner blieb und vermittelte den Eindruck, als hätte er nie auf der Seite der Gesetzlosen gestanden. Er machte nicht einmal den Versuch, Frank Reid wegen Mordes zu belangen: »Das war Notwehr.«
Dolly hatte die Auseinandersetzung gar nicht mitbekommen. Sie war während der Schießerei am anderen Ende des Broadways gewesen, um einige Vorräte für das Restaurant zu besorgen, und hatte erst nach ihrer Rückkehr vom Tod des Verbrecherkönigs erfahren. Sie machte keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich über den Tod von Soapy Smith freute. Er hatte den Mord an ihrem frisch angetrauten Ehemann befohlen oder billigend in Kauf genommen und ihrer Meinung nach nichts anderes verdient. Sie litt immer noch sehr unter dem Verlust, auch wenn sie durch ihre Arbeit im Restaurant abgelenkt war und sich kaum etwas anmerken ließ. Aber Clarissa wusste, dass ihre Freundin fast jeden Tag zum Friedhof pilgerte und dort am Grab ihres Mannes betete. Noch hatte sie seinen gewaltsamen Tod nicht verwunden.
Frank Reid starb am Morgen des Tages, an dem Soapy Smith beerdigt wurde, und stand unter dem Einfluss von Laudanum, als er seinen letzten Atemzug tat. Fitz glaubte jedoch, ein Lächeln in seinen Augen zu erkennen.
Wenn jemand eine Träne an diesem Morgen vergoss, galt sie dem tapferen Anführer der Bürgerwehr, die inzwischen sichergestellt hatte, dass keine Sympathisanten des toten Soapy Smith mehr in der Stadt waren, und nicht dem Verbrecherkönig, den der Leichenbestatter in einem einfachen Holzsarg zum Friedhof fuhr und auf der Seite begrub, die Straftätern und unerwünschten Personen vorbehalten war. Weder ein Pastor noch Trauergäste begleiteten ihn, und der Grabstein, den er aufstellte, hatte Soapy Smith schon zu Lebzeiten bezahlt. Er trug seinen Namen, seinen Todestag und sein Alter: 38 Jahre.
Nach dem Tod des Verbrecherkönigs änderte sich einiges in Skaguay. Die Stadt wurde ehrlicher. Man konnte in der Stadt wieder an Land gehen, ohne befürchten zu müssen, von einem jungen Schlepper zu einem sündhaft teuren Hotel oder Ausrüster gelockt oder um sein mühsam Erspartes gebracht zu werden. Selbst US Marshal Tanner erinnerte sich an seine eigentliche Aufgabe und kümmerte sich
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