Clarissa - Wo der Himmel brennt
anständiges Essen und Kaffee, der diesen Namen auch verdient, und im Frühjahr schicken wir Sie mit einem der Versorgungsschiffe nach Dawson.«
Ihr gefiel dieser Vorschlag. Wenn Sherburne bis jetzt nichts von ihrem Haftbefehl wusste, war die Gefahr, dass er während des Winters davon erfuhr, relativ gering, sie hatte eine warme Unterkunft und ausreichend zu essen und würde sogar noch Geld sparen. »Das Angebot nehme ich gerne an«, sagte sie. »Vielen Dank, Paul. Natürlich nur, wenn Sie und Ihre Constables nichts dagegen haben, dass sie eine Frau in abgetragener Männerkleidung bedient …«
»Keine Sorge, Clarissa. Sie sehen auch in Hosen wundervoll aus.«
Clarissa gewöhnte sich schnell an ihre neue Arbeit. Es war wesentlich einfacher, fünf anspruchslose Polizisten als eine reiche und verwöhnte Familie wie die Whittlers zu versorgen. Die Mounties freuten sich schon darüber, endlich anständigen Kaffee und Tee serviert zu bekommen, und Constable McGill war alles andere als erbost darüber, dass sie ihm seine häuslichen Pflichten abnahm. Obwohl die Constables angehalten waren, ihre Kleider selbst zu waschen und die beiden Blockhäuser sauber zu halten, wusch und putzte sie sogar, dankbar dafür, sich auf diese Weise bei Paul revanchieren zu können. Nur die Betten ließ sie die Polizisten allein machen. »Sonst werden mir die Constables noch übermütig«, scherzte Sherburne beim Abendessen.
Ihre Pechsträhne, die sie seit der Hochzeit verfolgte, war wenigstens in dieser Hinsicht zu Ende gegangen. Eine Aufforderung des Schicksals vielleicht, nun endlich den Tod ihres Mannes zu akzeptieren und in die Zukunft zu blicken, vielleicht aber auch nur ein Aufschub, um ihr inmitten der zahlreichen Schicksalsschläge etwas Luft zu verschaffen. Zumindest war sie bei den Mounties vor dem Kopfgeldjäger sicher, denn dort würde sich der Mann in der Büffelfelljacke wohl zuletzt sehen lassen. Vielleicht hatte sie Glück, und er glaubte, dass sie auf dem Marsch ums Leben gekommen war.
Gegen Tommy hegte sie keine Rachegedanken, auch wenn der junge Indianer sie beinahe in den Tod getrieben hatte. Sollte er doch mit dem Revolver und dem Beutel Gold glücklich werden. Auf ihre Kleider, vor allem das Kleid, das Soapy Smith ihr gekauft hatte, konnte sie leicht verzichten. Eigentlich seltsam, dass ihr der Verlust des Goldes so wenig ausmachte. Die meisten Frauen hätten wahrscheinlich Zeter und Mordio geschrien, wenn man ihnen einen Lederbeutel mit so wertvollem Inhalt gestohlen hätte, aber sie war anders. Sie hatte in der Wildnis gelernt, dass es wichtigere Dinge als Reichtum und Ansehen gab. Dort herrschten andere Gesetze als in der Stadt, dort wurde man nicht danach beurteilt, wie viel Besitz man in seinem Leben angehäuft hatte, sondern wie man sich in der Natur zurechtfand und das tägliche Leben meisterte. Bei den Indianern galt derjenige als besonders reich, der am meisten von seinem Besitz verschenkte, eine Tugend, die man bei wohlhabenden Familien wie den Whittlers vergeblich suchte.
Mit den Polizisten kam Clarissa bestens aus. Die Constables begegneten ihr ehrfürchtig wie einer Lady und nicht wie einer Köchin oder Haushälterin, und Paul wachte über ihr Wohlergehen wie ein Vater oder Bruder oder … Sie zögerte, den Gedanken zu Ende zu führen. Paul Sherburne war ein einfühlsamer und freundlicher Mann, der ihr durchaus gefiel, und ohne Alex hätte sie möglicherweise größeres Interesse für ihn an den Tag gelegt. Die fünfzehn Jahre, die sie trennten, wie sie inzwischen wusste, fielen nicht ins Gewicht, dazu machte er einen viel zu vitalen und lebendigen Eindruck. Aber noch hegte sie die Hoffnung, Alex eines Tages wieder in die Arme zu schließen, und selbst wenn sie einen eindeutigen Beweis für seinen Tod gehabt hätte, wäre sie wahrscheinlich nicht für einen anderen Mann bereit. Es gab keinen anderen Mann als Alex für sie.
Paul machte auch gar nicht den Versuch, sie zu umgarnen, verriet nur durch seine Schüchternheit und Verlegenheit, wenn er allein mit ihr sprach, dass er mehr als nur Sympathie für sie empfand. Er war nicht verheiratet. »Das Leben macht keine Frau mit«, sagte er lachend. »Oder möchten Sie mit einem Mann verheiratet sein, der heute nach Fort MacLeod und zwei Jahre später ans Ende der Welt versetzt werden kann?« Er sprach schnell weiter, bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte. »Wir Mounties führen ein unstetes Leben.«
»Ein abenteuerliches Leben«, verbesserte sie.
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