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Clarissa - Wo der Himmel brennt

Clarissa - Wo der Himmel brennt

Titel: Clarissa - Wo der Himmel brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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der Schlot und die beiden Masten zu erkennen. Die Lichter eines kleinen Bootes bewegten sich auf den Hafen zu. Auch im Hafen waren einige Lichter zu erkennen, dort nahmen Männer die Fracht und die Post in Empfang. Den Passagieren und der Besatzung der Alaska-Dampfer war es nicht gestattet, in Port Essington an Land zu gehen, und nach der viertägigen Reise von Vancouver hatte auch kaum einer das Bedürfnis dazu, sehr zum Unwillen der Kneipenbesitzer und der leichten Mädchen, die von den Männern der Schiffe, die länger vor Port Essington hielten, stark profitierten.
    Ihr Blick wanderte zum Mond empor, der zwischen zwei Wolken hing und teilnahmslos auf die Erde herabsah. Sie besaß keine Uhr, aber Mitternacht war sicher schon lange vorüber, und es würde nur noch wenige Stunden dauern, bis das Dampfschiff ablegte. Acht, neun, höchstens zehn Stunden. Mit dem Fahrplan nahmen es die Schiffe der Pacific Coast Steamship Company nicht so genau. Manchmal fuhren sie früher, manchmal später als neun Uhr. Bis dahin musste Alex wieder aufgetaucht sein, sonst mussten sie weitere vier Wochen auf die Ankunft des nächsten Schiffes warten, und die Wahrscheinlichkeit, dass Whittler zurückkehrte und sie festnahm, wuchs beträchtlich.
    Der Stiefel, den sie an der Küste gefunden hatte, verhieß nichts Gutes. Sie konnte sich nicht erklären, warum er ihn ausgezogen haben sollte, und klammerte sich an den Gedanken, dass es einen guten Grund dafür gab, und Alex gesund und munter war. Gegen den Gedanken, er könnte tot sein, wehrte sie sich mit jeder Faser ihres Herzens. Ihm durfte nichts zugestoßen sein. Alex war ihr Mann, jetzt auch vor Gott, und sie hatten eine gemeinsame Zukunft verdient.
    Oder sollte er zu den wenigen Menschen gehören, die auf geheimnisvolle Weise und ohne ersichtlichen Grund vom Erdboden verschwanden und nie wieder auftauchten? So wie der Trapper, der vor einigen Jahren nicht von der Jagd zurückgekehrt war, und von dem man keine einzige Spur gefunden hatte. Die meisten vermuteten, er sei einem Grizzly zum Opfer gefallen oder von hungrigen Wölfen zerrissen worden, aber auch dann hätte man zumindest seine Kleider oder seine Waffe finden müssen.
    Einem plötzlichen Entschluss folgend, trat Clarissa vor die Waschschüssel und spritzte sich frisches Wasser ins Gesicht. Solange Alex irgendwo dort draußen war, durfte sie nicht schlafen. Sie musste ihn suchen, ihre ganze Kraft einsetzen, um ihn rechtzeitig vor der Abfahrt des Schiffes zu finden. Sie durften nicht länger hierbleiben, das Risiko, von Whittler erwischt zu werden, war viel zu groß.
    Vielleicht war er verletzt und lag irgendwo zwischen den Felsen, oder er litt unter seiner Verletzung und war ohnmächtig geworden. Sie zog sich hastig an, diesmal die bequeme Hose und band ihre Haare zu einem festen Knoten, bevor sie ihre Pelzmütze aufsetzte. Noch war es draußen sehr frisch, die Frühlingssonne hatte den Winter nicht vollständig vertrieben.
    Unten klopfte jemand heftig an die Haustür. Sie hielt erschrocken inne und starrte auf die Tür. Sekundenlang geschah gar nichts, dann klopfte es wieder, diesmal heftiger. Dumpfe Schritte hallten durch den Flur. Eine Stimme erklang: »He, was soll das? Wissen Sie, wie spät es ist?« Und von draußen antwortete jemand: »Hier ist Joe, einer von Maggies Söhnen! Machen Sie auf!«
    Mary Redfeather öffnete, und der junge Mann trat in den Flur. Gleichzeitig klappte eine weitere Tür, und Maggie rief: »Joe … Was tust du denn hier?«
    »Whittler!«, antwortete er. »Frank Whittler kommt!«
    Clarissa spürte, wie die Angst ihre Kehle zuschnürte. Jeder Muskel in ihrem Körper schien zu erstarren, und obwohl ihr Verstand weiter arbeitete, war sie für einen Augenblick zu keiner Regung fähig. Ihr Blut schien zu gefrieren. Obwohl sie mit der bedrohlichen Nachricht gerechnet hatte, stand sie unter Schock und löste sich nur langsam aus ihrer Erstarrung. Wie in Trance griff sie nach dem Revolver, den sie aus dem Vorratsbeutel ihres Schlittens auf ihr Zimmer mitgenommen hatte, und dem kleinen Lederbeutel mit ihren Ersparnissen. Beides verstaute sie in ihrer Jackentasche. Ein Reflex, den sie auf der monatelangen Flucht vor Whittler gelernt hatte: Kleider und anderen persönlichen Besitz konnte man kaufen, doch man brauchte eine Waffe und Geld.
    Sie öffnete die Tür und ging in den Flur hinunter. Mary Redfeather und Maggie, die Wirtin im gemusterten Morgenmantel, die Indianerin im Nachthemd, standen bei dem jungen

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