Clarissa - Wo der Himmel brennt
gesagt, auch egal.«
»Und Sie sind persönlich gekommen, um sie zu verhaften?«
Whittler wurde ungeduldig. »Wenn die örtliche Polizei nicht dazu in der Lage ist, bleibt mir ja nichts anderes übrig. Ziehen Sie sich an, und helfen Sie mir, oder wollen Sie in diesem albernen Aufzug herumlaufen? Sie ist aus der Pension am Ortseingang weggelaufen und hat sich hier irgendwo versteckt. Sie ist mir schon ein paarmal entwischt, und ich habe keine Lust, ihr noch einmal hinterher zu laufen. Dieses Theater muss endlich ein Ende haben.«
Clarissa hatte ihr Versteck bereits verlassen und schlich am Haus des Constable vorbei. Wenn Whittler tatsächlich einen Haftbefehl besaß, und daran zweifelte sie nicht, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm zu helfen. Geduckt lief sie im Schatten der Häuser zum Hafen hinab. Ihre Wut auf Whittler war so groß, dass sie darüber beinahe ihre Vorsicht vergaß und auf dem vereisten Boden hinter einem der Häuser beinahe ausrutschte. Was fiel diesem verdammten Betrüger ein? Reichte es denn nicht, dass er vor zwei Jahren schon einmal versucht hatte, sie auf diese Weise ins Gefängnis zu bringen?
Damals war sein Schwindel aufgeflogen, sein Vater hatte ihn aufs Abstellgleis geschoben, und sogar seine Verlobte war ihm weggelaufen. Wie hatte er es geschafft, mit derselben Lügengeschichte einen Haftbefehl zu erwirken? Und warum hatte ihn sein Vater wieder aufgenommen? Quälende Fragen, die sie im Augenblick nur ablenkten. Wenn Whittler sie erwischte, landete sie im Gefängnis, und es konnte ihr ziemlich egal sein, wie er vorgegangen war. Solange er seinen Vater hinter sich wusste, hatte sie überhaupt keine Chance, einer strengen Strafe zu entgehen. Ein Mann wie er hatte Verbindungen, ihm fraß selbst die North West Mounted Police aus der Hand.
Sie erreichte den Hafen und blickte sich suchend um. Dichte Nebelschwaden waberten über dem Wasser und hingen an den Masten der Fischerboote, die vom schwachen Mondlicht beleuchtet wurden. Die Berge auf der anderen Seite der Bucht warfen unheilvolle Schatten in der Nacht, und das Dampfschiff, das am frühen Morgen nach Alaska weiterfahren würde, war nur an den Positionslampen zu erkennen. Der böige Wind rührte in den Nebelschwaden und ließ die Brandung gegen die steilen Uferfelsen schwappen.
Von der Hauptstraße drang die laute Stimme von Whittler zu ihr herab. »Beeilen Sie sich gefälligst, Constable!«, rief er. »Und nehmen Sie Ihre Pistole mit! Die Frau ist gefährlich!« Doch der Polizist ließ sich Zeit und schien alles zu tun, um ihr einen Vorsprung zu verschaffen, ein Zeichen dafür, wie viel Vertrauen sie und Alex in Port Essington genossen. Aber wie sollte sie die Zeit nützen? Reichte es, sich in einem der Fischerboote zu verstecken?
Sie lief auf eines der Boote zu und stieg hinein, doch kaum hatte sie eine Plane angehoben, um sich darunter zu verkriechen, erklang Whittlers Stimme erneut. »Sie muss im Hafen sein! Lassen Sie uns in den Booten nachsehen!«
Jetzt blieb ihr keine große Wahl mehr. Ohne lange zu überlegen, kletterte sie aus dem Boot und rannte an der Anlegestelle entlang. Sie fand ein Ruderboot und stieg hinein, löste das Seil, mit dem es angebunden war, und ruderte mit wuchtigen Schlägen aus dem Hafen. Nur den dichten Nebelschwaden hatte sie es zu verdanken, dass Whittler, der nur ein paar Minuten später mit dem Constable und dem Indianer auftauchte, sie nicht sehen konnte. Ihre Stimmen hallten dumpf durch den Nebel und verstummten nach einer Weile ganz. Dennoch ruderte sie weiter, immer weiter, auf die Positionslampen des Alaska-Dampfers zu, dem einzigen sichtbaren Ziel in ihrer unmittelbaren Nähe.
Das Dampfschiff war ein perfekter Zufluchtsort. Wenn sie es schaffte, ungesehen an Bord zu kommen und sich so lange zu verstecken, bis es die Anker lichtete, würde Frank Whittler sie niemals finden. Eine Idee, die nur aus purer Verzweiflung geboren werden konnte, denn wie kam man ungesehen auf ein solches Schiff? Und was war mit Alex? Sollte sie ihn zurücklassen?
Viel Zeit zum Überlegen blieb ihr nicht. Die Gefahr, dass Whittler ihre Absicht erriet, war groß, und sie konnte nicht ewig durch den Nebel rudern. Sobald es hell wurde, würde er sich verflüchtigen, und man würde sie sofort entdecken. Auf die andere Seite der Bucht zu rudern, war gefährlich, weil die Brandung dort besonders heftig war, und sie wäre auf der Halbinsel vollkommen auf sich allein gestellt. Mit Alex hätte sie es vielleicht geschafft,
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