Clarissa - Wo der Himmel brennt
neuen Fall zu konstruieren und einen glaubhaften Zeugen aufzutreiben. Ein normaler Vorgang in solchen Familien. Die Fassade muss stimmen, und wie es dahinter aussieht, geht keinen etwas an.« Er seufzte. »Und dass dabei Unschuldige wie Sie geopfert werden, interessiert keinen dieser Männer.«
»Ich bin kein Opfer«, protestierte sie sofort, auch wenn sie noch lange nicht sicher war, Frank Whittler entkommen zu sein. »So ungerecht kann die Welt nicht sein, dass er mit so einer Lügengeschichte durchkommt. Wir haben ihn das erste Mal in die Knie gezwungen und werden es auch diesmal schaffen.« Es klang nicht sehr überzeugend. »Woher wissen Sie das überhaupt alles? Sind Sie sicher, dass man Sie nicht zum Narren hält?«
»Ganz sicher, Ma’am. Wer so oft in der Unterwelt verkehrt wie ich, bekommt ein Gespür dafür, und außerdem … Ich scheue mich ein wenig, dies zuzugeben. Nun … Ich hatte … sagen wir, geschäftlich mit der Dame zu tun, die angeblich mit Thomas Whittler … Sie wissen schon … und habe dabei aus erster Hand erfahren, dass sie sich tatsächlich mit ihm eingelassen hatte.«
Clarissa blickte ihn überrascht an. »Sie hat es Ihnen erzählt?«
»Nein … Natürlich nicht.« Ralston verzog den Mund. »Aber ich habe eine Krawattennadel mit seinen Initialen in ihrer Handtasche gesehen … Eine Nadel, die ich selbst schon an ihm gesehen hatte. Anscheinend eine Rückversicherung, um etwas gegen ihn in der Hand zu haben. Oder ein Druckmittel, um ihn vielleicht jetzt schon zu erpressen. Würde dem Ausbeuter recht geschehen. Seine Gesellschaft hat genug Menschen über den Tisch gezogen.«
»So ist das also«, sagte sie. Sie konnte es beinahe nicht fassen.
»Hüten Sie sich vor ihm«, warnte Ralston. Er stand auf, holte den Aschenbecher von der Kommode und drückte seinen Zigarillo aus. »In ganz Vancouver redet man davon, wie besessen Frank Whittler von der Idee ist, Sie endlich hinter Gitter zu bringen. In den Kreisen, in denen ich verkehre, macht man sich sogar schon darüber lustig, obwohl ihm das natürlich niemals jemand ins Gesicht sagen würde. Ich bin sogar davon überzeugt, dass er Ihnen nach Alaska nachfahren würde, falls er jemals herausbekommt, wohin Sie geflohen sind.« Als er ihre besorgte Miene sah, fügte er rasch hinzu: »Obwohl es kein besseres Land gibt, um sich vor jemand zu verstecken. Alaska ist riesengroß, und die Zivilisation ist noch lange nicht so verbreitet wie in Kanada. Aber bleiben Sie wachsam. Ein gemeiner Betrüger wie er ist zu allem fähig!«
Clarissa hatte bisher geglaubt, in Alaska sicher zu sein und konnte sich auch jetzt noch nicht vorstellen, dass Whittler ihr bis in dieses ferne Land folgen würde. Sie musste aber zugeben, dass einem Mann, der seinen eigenen Vater erpresste, alles zuzutrauen war. »Und wer ist der Zeuge, der angeblich gesehen hat, wie ich Whittler die Brieftasche gestohlen und ihn angegriffen habe?«
»Ein Rechtsanwalt, der seinem Vater etwas schuldig ist. Ein scheinbar ehrenwerter Mann. Ich nehme an, auch er wird fürstlich für seine Dienste entlohnt.« Er trank seinen Tee, als wäre es Whiskey. »Ich bin, weiß Gott, nicht der ehrenwerte Gentleman, für den ich mich manchmal ausgebe, aber gegen diese Männer bin ich ein unbeschriebenes Blatt. Möchten Sie noch Tee?«
»Nein, danke.« Sie lauschte eine Weile dem Stampfen der Maschinen. »Was haben Sie die letzten beiden Jahre gemacht, Sam? Immer noch rastlos?«
Er setzte sich und nickte schwach.
»Mal hier, mal dort. Ich glaube, länger als ein paar Tage halte ich es gar nicht an einem Ort aus. Ich war immer wieder in Vancouver, aber auch in den Staaten unten … Seattle, San Francisco.«
»Und haben immer gewonnen?« Sie blickte sich in der teuren Kabine um.
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte er in seinem spöttischen Tonfall. »Ich war nicht gerade vom Glück verfolgt. Vor drei Wochen in San Francisco hatte ich die besten Karten seit Langem, ein Full House mit zwei Assen und drei Zehnen, und ich hatte meine Hände schon über dem Pott, einer Summe, die mich über die nächsten zwei Jahre gebracht hätte, und dann legt dieser …« Er hielt nur mühsam einen Fluch zurück. »… dieser Bursche doch einen Royal Flush auf den Tisch … Ein Blatt, das man nur alle paar Jahrzehnte mal erwischt. Ich war restlos pleite und konnte von Glück sagen, dass mir am nächsten Abend ein gieriger Banker gegenübersaß. Er hatte keine Ahnung vom Pokern und dachte schon, er hätte gewonnen, wenn er
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