Clarissa - Wo der Himmel brennt
diese wilde Hafenstadt finden, wenn sie Frank Whittler von sich fernhalten wollte. Wenn Soapy Smith wirklich so gefährlich war, wie Fitz behauptete, traute er sich bestimmt nicht nach Skaguay.
Das Heulen eines Wolfes stahl sich in ihre Gedanken. Sie blickte zum Waldrand hinüber und glaubte die vertraute Gestalt von Bones zu erkennen, der in weiten Sprüngen am Wasser entlanghetzte, als hätte er nicht den geringsten Zweifel daran, in welche Richtung er laufen musste. Nur einmal blickte er kurz zu ihr herüber, als wollte er ihr gut zureden, nicht von ihrem Ziel abzulassen und auf keinen Fall die Hoffnung aufzugeben. Mit einem entschlossenen Satz sprang er über die Uferfelsen und tauchte im Wald unter.
Auch als er schon längst verschwunden war, blickte sie noch in seine Richtung. Sie war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob sie ihn wirklich gesehen hatte oder ob er nur in ihrer Fantasie erschienen war. Im Grunde war es auch egal. Allein der Gedanke an seine kraftvollen Sprünge und das Blitzen in seinen Augen gaben ihr neue Kraft. Sie würde sich von Soapy Smith nicht aus der Bahn werfen lassen. In Skaguay wollte sie auf Alex warten, und er würde kommen. Ohne ihn war ihr Leben nicht vollkommen.
12
An Ihrer Stelle würde ich lieber in der Kabine bleiben«, sagte der Spieler, als sie zurückkehrte. »In der Kleidung fallen Sie viel zu sehr auf.« Er musterte ihre Wollhosen und die dicke Felljacke. »In der Wildnis mögen die Hosen ja praktisch sein, aber selbst auf dem Zwischendeck habe ich nur Frauen in Kleidern oder Röcken gesehen, und Sie wollen doch nicht, dass sich die Leute das Maul über Sie zerreißen.« Sein Blick blieb an ihren Stiefeln haften. »In Alaska hat Whittler zwar kaum Einfluss, aber mit Geld lässt sich vieles regeln, und wenn er eine Suchmeldung über den Telegrafen ausgesandt hat, und zu viele Leute wissen, dass eine Frau, auf die seine Beschreibung passt, an Bord ist, kommt noch jemand auf die Idee, Sie an die Polizei zu verraten.«
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Polizei des amerikanischen Territoriums während des Trubels, in dem sich das Land während des Goldrausches befand, um eine angebliche Diebin aus Kanada kümmerte, war zwar gering, aber Ralston hatte recht. Frank Whittler war alles zuzutrauen. Wenn er nur den leisesten Verdacht hatte, dass sie mit dem Schiff nach Alaska geflohen war, würde er auch vor der Grenze nicht haltmachen.
Sie ging lieber auf Nummer sicher. »Sie haben recht, Sam. In dem Aufzug könnte ich auch ein Schild mit meinem Namen um den Hals tragen.« Sie blickte sich in der Kabine um. »Und wo soll ich Ihrer Meinung nach schlafen? Für ein unverheiratetes Paar ist sogar in dieser luxuriösen Kabine zu wenig Platz.«
Sie errötete wieder. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich …«
Er schien Gefallen an ihrer Verlegenheit zu finden und ließ den Halbsatz eine Weile in der Luft hängen, bevor er antwortete: »Keine Angst, Ma’am. Ich mag zuweilen in wenig respektablen Kreisen verkehren, aber ich weiß mich wie ein Gentleman zu benehmen.« Er verzog seinen Mund zu einem angedeuteten Lächeln, wie er es wohl am Spieltisch zeigte, wenn er ein besonders gutes Blatt aufgedeckt hatte. »Ich schlafe natürlich auf dem Sofa. Glücklicherweise gibt es ein solches Möbelstück in dieser Kabine, sonst würde ich wohl mit dem Boden vorliebnehmen müssen. Und um Ihnen die notwendige Privatsphäre zu verschaffen, werde ich die spanische Wand ausziehen.« Er deutete auf die stoffbezogene Klappwand, die vor dem Waschtisch stand. »Das Essen lasse ich vom Steward bringen. Wenn mich jemand auf Sie anspricht, sage ich ihm, dass Ihnen die Seekrankheit zu schaffen macht. Wenn ich ehrlich bin, war mir im offenen Gewässer vor Vancouver Island selbst ein wenig übel, und einigen anderen Passagieren erging es nicht viel besser. Wie wäre es mit einer kräftigen Hühnerbrühe und etwas Brot zum Mittagessen?«
»Wenn Sie einen Elchbraten bestellen und mir ein großes Stück davon abgeben …« Sie konnte schon wieder lachen. »Sie sind ein raffinierter Betrüger, Sam, wissen Sie das? Ich hoffe, beim Pokern sind Sie etwas ehrlicher.«
»Wenn nicht, würde ich öfter gewinnen«, erwiderte er scheinbar ernst.
Ralston bestellte zwar keinen Elchbraten, aber eine Terrine mit kräftigem Eintopf, den er brüderlich mit ihr teilte. Sie war hungrig nach der langen Nacht und den unbequemen Stunden im Rettungsboot und aß schneller, als es für eine Dame schicklich war.
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