Clarissa - Wo der Himmel brennt
erkannte das Brautpaar in der Menge und winkte ihnen zu. Beide trugen leichte Rucksäcke auf ihren Schultern. Sie hatten wohl nur das Nötigste mitgenommen und wollten ihre Vorräte in Skaguay ergänzen. Dort verlangten die Händler sicher höhere Preise, dafür wussten sie aber sicher auch, was man wirklich für die lange Reise brauchte.
Ihr Blick wanderte über die wartenden Passagiere und blieb an den beiden bärtigen Burschen hängen, die in Sitka an Bord gekommen waren. Sie hatten überhaupt kein Gepäck dabei, sondern hielten lediglich ihre Gewehre in den Händen, als wären sie nur an Bord gekommen, um die anderen Passagiere zu bewachen. Sie machten sich nicht viel aus der Umgebung, sie schienen sie bereits zu kennen und lehnten mit dem Rücken an der Reling. Sie waren wohl mehr an den Männern interessiert, die in Skaguay von Bord gingen. Fast hatte es den Eindruck, als würden sie jeden Einzelnen neugierig mustern.
Seltsamerweise stand der Pastor, der Luther und Dolly getraut hatte, direkt neben ihnen und unterhielt sich mit ihnen. Er kannte die Männer anscheinend, es wirkte sogar, als wäre er näher mit ihnen bekannt. Wenn sie es recht überlegte, sah er auch nicht wie ein Prediger aus, eher wie ein ungehobelter Bursche, der sich als Pastor verkleidet hatte.
»Reverend Ike«, erklang eine vertraute Stimme neben ihr. Sie blickte nach rechts und erkannte Fitz, den alten Goldsucher. »Wenn der Pastor ist, verspeise ich einen Grizzly mit Haut und Haaren. Angeblich soll er ein paar Jahre in Colorado gepredigt haben, bevor er nach Skaguay ging. Wenn Sie mich fragen, gehört er zu Soapy Smith’ Leuten, so wie die beiden Burschen da unten.« Er deutete mit dem Kopf auf die bärtigen Männer, die bei dem Reverend standen. »Sie glauben gar nicht, wie viele Leute für Soapy Smith arbeiten.«
Clarissa blickte ihn erstaunt an. »Aber wenn er kein richtiger Reverend ist, hätte er Luther und Dolly doch gar nicht trauen dürfen! Dann ist die Hochzeit ungültig, und die beiden leben ihr ganzes Leben in Sünde.« Sie suchte das Brautpaar in der Menge, konnte es aber nicht mehr entdecken und machte Anstalten, ein Deck tiefer zu steigen. »Ich muss es ihnen sofort sagen. Sie müssen die Hochzeit in Skaguay wiederholen. Ohne einen richtigen Pastor …«
»Nicht nötig, Ma’am.« Der Goldsucher winkte ab. »Das Dokument, das der Pastor unterschrieben hat, ist bestimmt echt. Soapy Smith hat überall seine Verbindungen, und es würde mich nicht wundern, wenn auch der Präsident auf seiner Lohnliste stehen würde. Und wen stört es hier oben schon, wenn die Unterschrift von einem falschen Pastor kommt? Niemand kann ihm das Gegenteil beweisen, und niemand würde wagen, gegen ihn auszusagen.«
»So mächtig ist dieser Soapy Smith?«
Der Goldsucher nickte nachdenklich. »Aber der Tag wird kommen, an dem auch er für seine Missetaten bezahlen muss. So dreist wie er geht man nicht ungestraft gegen die Leute vor. Wenn ich ein Spieler wäre, würde ich eine große Summe darauf setzen, dass er noch dieses, spätestens aber nächstes Jahr an einer Kugel stirbt oder am Ende eines Stricks sein Leben aushaucht. Auch Jesse James war angeblich unsterblich, und wo ist er jetzt?«
Mit einem lauten Tuten der Dampfpfeife kündigte der Kapitän die baldige Ankunft in Skaguay an. Die Passagiere drängten noch dichter an die Reling und starrten ungeduldig in den Nebel, bis er sich plötzlich vor ihnen zu teilen schien und das Ziel ihrer Reise vor ihnen auftauchte. Die Stadt lag am Ufer einer halbmondförmigen Bucht, umgeben von verschneiten Bergen, deren Gipfel in den Nebelschwaden verborgen lagen. Kühler Wind wehte ihnen über das Wasser entgegen und ließ die Fahnen an den hohen Masten knattern.
Die S.S. California ging in respektvoller Entfernung von der Stadt vor Anker und kündigte mit einem mehrfachen Tuten ihre Ankunft an. Laute Befehle schallten über das Schiff. Matrosen hasteten über die Decks und postierten sich an den Luken. Mit rasselnder Kette sauste der Anker in die Tiefe.
Die Passagiere, die erwartet hatten, gleich an Land gehen zu dürfen, murrten ungeduldig, und die Matrosen informierten sie darüber, dass das Wasser zu flach für ein großes Dampfschiff wie die S.S. California war, um direkt an dem langen Pier anzulegen. Sie brauchten allerdings nicht lange zu warten. Schon beim ersten Tuten hatten die ersten Boote abgelegt, um die Passagiere und die sehnsüchtige Fracht abzuholen. »Willkommen in Skaguay!
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