Clarissa - Wo der Himmel brennt
hat sein Leben lang für die Eisenbahn geschuftet, Schwellen gelegt und so, obwohl er mehr kann, und ich hab Wäsche gewaschen und Teller gespült. Aber damit ist jetzt Schluss, stimmt’s, Luther?« Sie blickte ihren Mann an.
»Darauf kannst du wetten, mein Schatz!«
Dolly redete gern und viel. »Luther ist ein schlauer Bursche, müssen Sie wissen. Für einen Iren, meine ich.« Sie wich seinem spielerischen Knuff aus. »Er weiß, dass die Nuggets auch am Klondike nicht wie Kieselsteine in den Bächen rumliegen, und man nur genug Gold aus der Erde holen kann, wenn man die richtige Ausrüstung besitzt. Und die ist teuer.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ihnen kann ich’s ja sagen … Wir haben ein paar hundert Dollar dabei, unsere ganzen Ersparnisse, dafür kaufen wir die beste Ausrüstung, die man in Skaguay bekommen kann, und ich wette, dafür können wir uns auch einen oder zwei Indianer leisten, die uns beim Tragen helfen.«
An dem begeisterten Funkeln in den Augen der jungen Frau erkannte Clarissa Dollys Entschlossenheit, in Alaska ihr Glück zu machen. Nicht ihr Mann, sondern sie war die treibende Kraft, die ihnen in dem fernen Land zu einem neuen Start verhelfen sollte. Mit der Hochzeit hatte sie den Anfang gemacht. Wer als Engländerin einen Iren heiratete, musste einiges ertragen können, so erzählte man es sich auch bei den Fischern in Vancouver, und wer die Ringe auf einem Schiff mit über zweihundert Goldsuchern und Glücksrittern aus aller Herren Länder tauschte, musste so stark sein, dass ihm selbst im wilden Alaska alles zuzutrauen war.
Wie oft hatte Clarissa von Männern gehört, die voller Hoffnung und Zuversicht in die Wildnis gezogen waren, um dort ihr Glück zu machen, und schon nach wenigen Tagen oder Wochen gescheitert waren. Auch sie hatte teures Lehrgeld bezahlt und es nur Alex zu verdanken, dass sie in der Wildnis nicht gescheitert war. Luther und Dolly waren anscheinend gut vorbereitet und machten nicht den Eindruck, als würden sie sich auf ihrem Weg von irgendetwas aufhalten lassen.
Dolly betrachtete ihren Ehering, einen einfachen Stein, der selbst im trüben Licht des Zwischendecks wie ein Diamant glitzerte, und lächelte versonnen. »Nur wer alles wagt, kann auch alles gewinnen«, sagte Dolly. »Ein Spruch meines Großvaters. Ohne ihn wäre meine Großmutter bestimmt nicht nach Amerika ausgewandert. Was das bedeutet hätte, steht in den Briefen, die meine Großeltern aus Irland bekamen. Die Leute starben wie die Fliegen.«
»Amen«, kommentierte der spindeldürre Pastor, der Dolly und Luther getraut hatte, ihre Antwort. Er erhob den Zeigefinger. »Doch selbst wenn wir zu einem hohen Einsatz gezwungen sind, sollten wir noch ein paar Dollar für den Allmächtigen übrig haben.« Er ließ nicht erkennen, ob er Dolly länger zugehört hatte, und ihr Erspartes meinte, oder sie nur daran erinnern wollte, bei allem, was sie tat, nicht Gott zu vergessen. »Dürfte ich Sie zum Tanz bitten?«
Der Pastor, zu dem Clarissa in Vancouver in die Kirche gegangen war, hatte nie getanzt, nicht mal bei einer Hochzeit, und sie fand es eher komisch, wie der Mann, dessen Namen sie nicht kannte, in seinem langen Talar über die Tanzfläche hüpfte. Sie nützte die Unterbrechung, um sich vom Zwischendeck zu stehlen und auf das Saloondeck zurückzukehren, wo es etwas ruhiger und gesitteter zuging. Der wahre Grund, den sie sich selbst gegenüber nicht eingestehen wollte, war jedoch, dass sie es unpassend fand, sich auf der Hochzeitsparty eines fremden Paares zu amüsieren, während sie ihr eigenes Fest vorzeitig verlassen hatte, und ihr Ehemann noch immer nicht bei ihr war.
Sie trat an die Reling und blickte in den Dunst, der über den nahen Inseln hing. Noch immer trieb der Wind leichten Nieselregen über das Meer, und über der felsigen, mit knorrigen Zedern bewachsenen Steilküste hingen feuchte Dunstschwaden. Kein Wetter, um sich an Deck zu erholen, schon gar nicht für eine Dame, die lediglich einen leichten Mantel über ihrem Rock und ihrer Bluse trug, doch Clarissa wollte nach dem Trubel auf dem Zwischendeck allein sein und Alex allein durch die Kraft ihrer Gedanken wissen lassen, dass sie ihn nicht vergessen hatte. Wenn sie dem Schamanen, den sie in einem entlegenen Indianerdorf im kanadischen Busch getroffen hatte, glauben konnte, trug der Wind einem geliebten Menschen eine Botschaft zu, wenn man nur fest daran glaubte und sich mit allen Sinnen darauf konzentrierte.
Sie schloss
Weitere Kostenlose Bücher