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Clarissa - Wo der Himmel brennt

Clarissa - Wo der Himmel brennt

Titel: Clarissa - Wo der Himmel brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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eine Hochzeit war sie jedoch nicht vorbereitet. In dem großen Speisesaal schienen sich die Passagiere aller Klassen versammelt zu haben und feierten ein junges Brautpaar, das auf einem der langen Tische eine stilechte Polka hinlegte und den Takt für die anderen Passagiere vorgab, die zwischen den Tischen tanzten, mit Männern und den wenigen Frauen, und sich diebisch über die Abwechslung an Bord zu freuen schienen. Die Kapelle bestand aus zwei bärtigen Männern mit Ziehharmonikas und einer stämmigen Frau, die mit beiden Händen auf einen hölzernen Waschzuber trommelte. Ein spindeldürrer Mann in der Kleidung eines Pastors dirigierte sie mit einem Bierkrug.
    Bevor Clarissa sich versah, packte sie ein junger Mann mit feuerroten Haaren und wirbelte sie zu den wilden Klängen zwischen den Tischen hindurch. Sie verlor beinahe ihren neuen Hut und verhinderte nur durch einen gewagten Seitenschritt, dass sie nicht stolperte, während sie dachte: Das können nur Iren sein!

13
    Die Polka schien kein Ende zu nehmen. Kaum steuerte die Melodie auf einen schwungvollen Höhepunkt zu, begann eine neue, und die Musiker steigerten sich in einen so schwungvollen Rhythmus hinein, dass sie es nur mühsam schaffte, auf den Beinen zu bleiben. Sie wurde von einem Tänzer zum nächsten gereicht, schreckte jedes Mal zusammen, wenn die Männer ihre Schritte mit lauten Jubelschreien begleiteten, und landete mit den letzten Takten in den Armen des Bräutigams, der vor Begeisterung strahlte und jauchzte und in seinem seltsamen Dialekt lauthals prahlte: »Ob Sie’s glauben oder nicht, Ma’am, ich bin der glücklichste Mann auf der Welt! Oder haben Sie schon mal eine so schöne Braut gesehen?« Er strahlte seine junge Frau an, die in den Armen seines Bruders an ihm vorbeiwirbelte. »Dabei ist sie Engländerin, und ich hab noch nie gehört, dass ein Ire und eine Engländerin geheiratet haben.«
    In einer der seltenen Tanzpausen saß Clarissa am Tisch des Brautpaares. Sie erfuhr, dass der Bräutigam aus dem irischen Viertel von San Francisco stammte und Luther Kinkaid hieß, und seine Frau am liebsten Dolly gerufen wurde, obwohl sie eigentlich Dorothy oder Margaret hieß. Beide waren ungefähr fünf Jahre jünger als sie, er ein kräftiger Bursche mit starken Armen und riesengroßen Händen, der jahrelang im Hafen gearbeitet hatte, sie eine starke Frau mit aufgesteckten blonden Haaren und großen blauen Augen, die als Küchenhilfe in einem Restaurant angestellt gewesen und ebenfalls nicht auf den Mund gefallen war. »Ich habe lange überlegt, ob ich ihn nehmen soll«, sagte sie, »mit den Iren ist das nämlich so eine Sache: Die arbeiten sechs Tage wie die Wahnsinnigen, schaffen es am Sonntag mühsam in die Kirche und lassen sich anschließend mit Whisky volllaufen.« Ihr Lachen war so ansteckend, dass alle mitlachten. »Wie soll man da eine Familie gründen?«
    »Dafür hab ich schon noch Zeit«, erwiderte der Bräutigam fröhlich.
    Obwohl es noch nicht einmal Mittag war, floss das Bier in Strömen, und auch Clarissa musste mit einem vollen Krug anstoßen. Sie zwang sich zu einem kleinen Schluck von dem bitteren Dünnbier, das der Bräutigam in Fort Wrangel aufgetrieben und an Bord gebracht hatte, und spülte rasch mit heißem Tee nach, allerdings war auch der viel zu bitter und erst mit mehreren Löffeln Zucker genießbar. Dankbar griff sie nach einem der leckeren Sandwiches, das ihr einer der anderen Hochzeitsgäste reichte.
    »Eigentlich bräuchten wir gar nicht mehr nach Gold zu suchen«, sagte Luther nach einem kräftigen Schluck Bier, »ich hab ja meinen Nugget schon gefunden!« Er blickte seine Braut an. »Und was für einen wertvollen Nugget!«
    Dolly legte einen Arm um seine Schultern. »Und jetzt suchen wir nach einer Goldmine, die uns so reich macht, dass wir nie wieder arbeiten müssen, das haben wir uns redlich verdient.« Sie schien es ernst zu meinen, obwohl weder sie noch ihr Bräutigam zu dem Typ gehörten, der sich durch unerwarteten Reichtum vom Arbeiten abbringen ließ. »Wir kommen beide aus armen Familien, wissen Sie? Unsere Großeltern flohen vor der Kartoffelfäule nach Amerika und lebten in New York, eine schlimme Zeit, hab ich mir sagen lassen, und meine Eltern waren beim Bau der Union Pacific dabei, mein Vater als Schwellenleger und meine Mutter als Wäscherin. Bei Luthers Eltern war es nicht viel anders. Wir sollten es mal besser haben, aber wenn du aus Irland kommst, hast du auch in Amerika wenig Chancen. Luther

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