Clarissa - Wo der Himmel brennt
erkannte, wie sinnlos ihr Unternehmen war. Fitz hatte recht. Auch vor einer Frau machten Soapy Smith und seine Männer nicht Halt. Man würde sie mit allen Mitteln daran hindern, das Hotel zu betreten, notfalls auch mit Gewalt, und niemand würde ihr beistehen. Dies war die gesetzloseste Stadt, die sie jemals kennengelernt hatte, und sie hatte auf ihrem Weg nach Norden einiges gesehen. Skaguay war ein Sündenpfuhl, in dem sich selbst der Pastor mit dem Teufel verbündet hatte. Wenn sie das gewusst hätte, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, ausgerechnet hier auf Alex zu warten.
Doch so ganz ohne Widerrede wollte sie auch nicht klein beigeben. »Sagen Sie Soapy Smith, er soll Luther und Dolly in Ruhe lassen. Sie haben die beiden getraut, also sorgen Sie gefälligst dafür, dass sie unbeschadet bleiben.«
»Meinen Segen haben die beiden, Ma’am.« Wieder dieses Lächeln.
»Und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll«, erwiderte Clarissa verächtlich. »Haben Sie in letzter Zeit mal in der Bibel gelesen, Reverend?«
»Ich lese jeden Tag in der Bibel, Ma’am.«
»Die Bergpredigt … Ich glaube, die sollten Sie sich mal wieder zu Gemüte führen.«
Sie ließ den Pastor stehen und kehrte auf den Gehsteig zurück. Sie war wütend auf Soapy Smith, der sich zum Alleinherrscher über Skaguay aufgeschwungen hatte und die Neuankömmlinge reihenweise übervorteilte und bestahl, auf die Männer der Stadt, die sich seine Willkür gefallen ließen und nichts gegen ihn unternahmen, und auf sich selbst, weil sie keinen Weg fand, Luther und Dolly zu warnen und gezwungen war, klein beizugeben.
Mit festen Schritten lief sie über den Gehsteig zur Pension zurück. Ihre Absätze hämmerten über die Planken, die selbst unter den Vorbaudächern feucht und rutschig waren. Sie bahnte sich einen Weg durch die vielen Goldgräber, die vor dem Laden eines Ausrüsters warteten, und verzog angewidert das Gesicht, als sie die Stimme des Besitzers hörte: »Einer nach dem anderen, meine Herren, und ich muss Ihnen leider sagen, dass sich der Preis für Goldwaschpfannen und Pickel gerade um zwei Dollar erhöht hat. Tut mir leid, aber auch in Skaguay richten sich die Preise nach Angebot und Nachfrage.«
Clarissa war so wütend, dass sie am liebsten etwas erwidert hätte, und drehte sich schon um, als sie auf den feuchten Planken ausrutschte und im letzten Augenblick von zwei starken Armen aufgehalten wurde. »Ich hoffe, Ihnen ist nichts passiert?«, fragte eine Stimme mit ungewöhnlichem Akzent.
Sie richtete sich auf und sah sich einem hochgewachsenen Gentleman gegenüber. Er war ungefähr zehn Jahre älter als sie, trug einen flachkronigen Hut nach der neusten Mode und wirkte in seinem langen Prince-Albert-Rock und der weinroten Weste noch vornehmer und gepflegter als Sam Ralston. Sein Vollbart war sauber gestutzt, die Haare kurz geschnitten und gescheitelt, und seine Augenbrauen schien er mit einem Stift nachgezogen zu haben. Ein Spieler, kam es ihr sofort in den Sinn, ein Berufsspieler wie Sam Ralston.
»Nein, mir ist nichts passiert … Vielen Dank«, antwortete sie.
Das Lächeln des Mannes wirkte aufrichtiger als bei dem Pastor, wenn sie auch in seinen blauen Augen etwas Kaltes und Unberechenbares zu erkennen glaubte. »Ich bin überrascht, eine so hübsche und gut angezogene Frau in unserer Stadt zu treffen. Darf ich fragen, was Sie nach Skaguay führt, Ma’am?«
»Ich warte auf meinen Mann«, antwortete sie, ohne lange zu überlegen. Wenn selbst der Reverend wusste, dass Sam Ralston nicht ihr Ehemann war, brauchte sie die Wahrheit nicht länger zu verschweigen. Es gab keinen Telegrafen in Skaguay, und es war unwahrscheinlich, dass Frank Whittler mit seinem Haftbefehl bereits nach Alaska durchgedrungen war. Bis es so weit war, wären Alex und sie längst über alle Berge. »Wir wollen …« Sie überlegte angestrengt. »Wir wollen ein Geschäft eröffnen. Mein Mann ist … Pelzhändler.«
Der Fremde schien ihre Lüge zu schlucken. »Einen Pelzhändler können wir hier gut gebrauchen. Bisher handeln die Indianer der Gegend direkt mit uns, und die meisten haben zu wenig Ahnung, um den Wert der Pelze wirklich einschätzen zu können.« Er lächelte sie wie ein Mann an, der mehr von einer Frau erwartet als nur ein flüchtiges Gespräch. »Obwohl ich mir gewünscht hätte, dass Sie noch nicht in festen Händen sind. Sie sind wirklich eine ungewöhnlich hübsche Frau, Ma’am. Ich bin sicher, Sie haben bereits allen
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