Clarissa - Wo der Himmel brennt
Sinn, klein beizugeben und in die Pension zurückzukehren, aber dann fasste sie sich ein Herz und ging weiter. Nein, keinesfalls würde sie vor diesen Burschen in die Knie gehen. Sie durfte Luther und Dolly nicht im Stich lassen.
Gerade wollte sie die Straße überqueren, als ihr der Pastor, der die beiden getraut hatte, in den Weg trat und sagte: »Ah, die hübsche Lady vom Schiff! Hab ich Sie nicht auf der Hochzeitsfeier gesehen?«
Ihr blieb nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben. Widerwillig antwortete sie: »Ja, das stimmt …«
»Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt«, warf er ein. Er lüftete seinen Hut und deutete eine Verbeugung an. »Reverend Isaac M. Bannister … Der Name steht zumindest auf meiner Geburtsurkunde. Hier kennen mich alle als Reverend Ike.« Er verzog sein Gesicht zu einem Lächeln, ohne dass seine Augen ihren forschenden, beinahe misstrauischen Ausdruck verloren. »Und Sie sind mit Ihrem Gatten nach Skaguay gekommen, wenn ich mich recht erinnere. Ein Glücksspieler. Nun, solange er ehrlich spielt, hat Gott sicher nichts dagegen. Sam Ralston, nicht wahr?
»Sam Ralston, ganz recht.« Sie fühlte sich in die Enge getrieben und hatte das Gefühl, dass der Pastor ihr längst auf die Schliche gekommen war und genau wusste, dass sie und Ralston nicht verheiratet waren. »Er ist gerade geschäftlich unterwegs, und ich habe es furchtbar eilig. Nichts für ungut, Reverend.« Sie raffte ihren Mantel. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen …«
Sie wollte an ihm vorbei und die Straße überqueren, doch der Reverend hatte bereits an ihrem Blick erkannt, wohin sie wollte, und stellte sich ihr in den Weg. Sie blickte ihn fragend an. »Was hat das zu bedeuten, Reverend?«
»Oh …« Der Pastor tat so, als hätte er ihr zufällig den Weg versperrt, machte aber keine Anstalten, sie durchzulassen. Sein Lächeln erinnerte sie an die hinterhältige Miene einer Hyäne, die sie als Kind auf einer Tierschau in Vancouver gesehen hatte. Sie hatte damals furchtbare Angst gehabt. »Ich nehme an, Sie wollen zum Skaguay Hotel. Sind Sie auch dort abgestiegen, Ma’am?«
Sie verlor langsam die Geduld. »Ich habe es wirklich eilig, Reverend.«
»Ich weiß«, erwiderte er immer noch lächelnd, »und ich möchte Ihnen auch wirklich nicht zu nahetreten, aber wenn ich recht informiert bin, sind Sie in der Pension von Mrs Buchanan abgestiegen, und für ein Zimmer im Skaguay Hotel sind Sie leider zu spät dran. Ich komme gerade von dort. Sie sind restlos ausgebucht, auf Wochen schon, soweit ich weiß, und es hat gar keinen Zweck, nach einem Zimmer zu fragen.« Sein Lächeln verstärkte sich, ohne dass sich in seinen Augen irgendetwas davon widerspiegelte. »Ich dachte, ich sage es Ihnen lieber gleich, bevor Sie den beschwerlichen Weg umsonst machen. Warum sollten Sie das Risiko eingehen, auf den schmutzigen Planken auszurutschen, wenn Sie dort doch nur eine Absage bekommen? Ich würde Ihnen raten, sofort zu Mrs Buchanan in die Pension zurückzukehren.«
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Reverend mit Soapy Smith unter einer Decke stand, so hatte sie ihn jetzt. Er wusste ganz genau, dass sie im Skaguay Hotel nicht nach einem Zimmer fragen wollte, und war auch nicht daran interessiert, ihr den Weg ins Hotel zu ersparen. Mit seiner langen Ansprache wollte er ihr lediglich klarmachen, dass sie dort nicht erwünscht war. Anscheinend wusste er ganz genau, was sie im Sinn hatte. Und wenn er herausbekommen hatte, dass sie bei Mrs Buchanan wohnte, war ihm sicher auch klar, dass Sam Ralston und sie nicht verheiratet waren. Auch ohne einen Telegrafen schienen sich Nachrichten in dieser Stadt schnell zu verbreiten.
Sie blickte zum Hotel hinüber und beobachtete, wie einer der beiden Männer vor dem Eingang aufstand, das Gewehr in beiden Händen, und misstrauisch zu ihnen herübersah. Hatte er den alten Fitz bewusstlos geschlagen?
»Es sieht ganz so aus, als hätte Gott vergessen, seine schützende Hand über diese Stadt zu legen«, schien der Pastor ihre Gedanken zu lesen, »und ich bin zu schwach, um mich allein gegen das Böse stellen zu können. Seien Sie vernünftig, Ma’am, und gehen Sie in die Pension zurück! Hier treibt sich einiges Gesindel herum.« Er blickte zu den Männern vor dem Hotel hinüber. »Ich kenne die Männer. Sie sind Abschaum, Ma’am … Und sie sind gefährlich!«
Sie erinnerte sich daran, wie der Pastor mit den beiden auf dem Schiff gesprochen hatte, und
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