Clarissa - Wo der Himmel brennt
amerikanische Regierung einen unbestechlichen US Marshal oder die Armee nach Skaguay schickt, um hier endlich aufzuräumen. Oder wie lange es dauert, bis sich die anständigen Männer dieser Stadt zusammenraufen und ihm endlich Paroli bieten.« Sie trank einen Schluck und setzte die Tasse so heftig ab, dass sie beinahe zersprang. »Halten Sie sich von Soapy Smith und seinen Leuten fern, Clarissa!«
An diesem Abend verzichtete Clarissa auf ihr Essen, auch weil sich ein neuer Gast bei Mrs Buchanan eingetragen hatte, ein Quacksalber, der mit selbst gebrauter Medizin durch die Lande reiste und seinen in kleinen Flaschen abgebrühten Sud als wirkungsvolles Mittel gegen Schmerzen aller Art anpries. Sie hatte keine Lust, sich die blumigen Worte dieses selbst ernannten Wunderheilers anzuhören und war auch viel zu verwirrt, um sich in der Gesellschaft anderer Menschen zu zeigen. Mit einer Kanne heißem Tee zog sie sich in ihr Zimmer zurück und dachte über die seltsame Wendung nach, die ihr Leben ausgerechnet am Tag ihrer kirchlichen Trauung genommen hatte.
Noch bedrückter als vor etwas mehr als zwei Jahren, als sie Hals über Kopf aus Vancouver geflohen war und sich wenige Tage später in der unwirtlichen Wildnis wiedergefunden hatte, blickte sie aus dem Fenster. Der Ausblick war so trübe wie ihre Gedanken. Ihr Zimmer ging nach hinten raus, und vor ihren Augen erstreckte sich lediglich ein gerodeter Streifen flacher Erde, die immer noch mit Schnee bedeckt war, und dahinter ragte dunkler Fichtenwald empor. Die Sonne, die im Frühling schon am frühen Abend unterging, war bereits hinter den Bergen verschwunden, und düstere Schatten krochen über den Boden und an den Bäumen empor. Das Wrack eines ausgebrannten Planwagens lag wie das zerstörte Skelett eines Ungeheuers am Waldrand.
Wie schnell sich das Schicksal eines Menschen doch ändern konnte. Bis zum plötzlichen Tod ihrer Eltern hatte sie ein nicht immer sorgenfreies, aber erträgliches Leben geführt, hatte ihrer Mutter im Haushalt geholfen und war mit ihrem Vater zur See gefahren. Ihre Netze waren während der letzten Jahre selten voll gewesen, doch zum Leben hatte es immer gereicht, dann war ihr Vater von einer Fahrt nicht zurückgekehrt und ihre Mutter kurz darauf gestorben, und sie hatte selbst nach dem Verkauf des Fischkutters ohne einen Penny auf der Straße gestanden. Als Haushälterin bei wohlhabenden Leuten wie den Whittlers hatte sie sich über Wasser gehalten und eine neue Zukunft aufgebaut, doch schon während dieser Zeit das Bedürfnis gespürt, etwas vollkommen Neues zu beginnen und in eine neue Zukunft aufzubrechen. Ihr Blick war in die Ferne gegangen, zu den schneebedeckten Coast Mountains, und sie hatte die stille Sehnsucht gespürt, auch diese Wildnis kennenzulernen.
Die Umstände, die sie nach Norden und in eine neue Zukunft trieben, hätte sie sich gern erspart. Selbst zwei Jahre, nachdem Frank Whittler versucht hatte, sie zu vergewaltigen, schreckte sie nachts noch manchmal aus einem bösen Traum hoch, in dem sie das Gesicht ihres Peinigers dicht vor sich sah. Als Bones, der geheimnisvolle Wolf, ihn mit gefletschten Zähnen vertrieben hatte, war sie in dem Glauben gewesen, ihn für immer und ewig aus ihrem Leben vertrieben zu haben, und nicht einmal in ihren schrecklichsten Albträumen hätte sie vermutet, dass er so von seiner Rache besessen sein könnte, um sich bei seinem Vater einzuschmeicheln und erneut mit einem Haftbefehl nach ihr zu suchen. Solange er den mächtigen Manager der Canadian Pacific auf seiner Seite hatte, würde die Polizei alles tun, um sie festzunehmen, und mit dem gekauften Zeugen hätte sie auch keine Chance vor Gericht. Man würde sie und wahrscheinlich auch Alex zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilen.
Die Warnung ihrer indianischen Freundin war gerade noch rechtzeitig gekommen, und sie wären inzwischen wahrscheinlich aller Sorgen ledig gewesen, wenn sie das Schicksal nicht erneut herausgefordert hätte. Alex war verschwunden, spurlos verschwunden, und der Stiefel, den sie bei den Klippen gefunden hatte, war nicht gerade ein Zeichen dafür, dass sich alles zum Besseren wenden würde. Auch wenn er am Leben war, wovon sie fest ausging, war die Gefahr groß, dass Frank Whittler zurückkehrte und ihn festnahm. Mit dem Haftbefehl, den der rachsüchtige Millionärssohn vorweisen konnte, würde sich auch der Constable in Port Essington auf seine Seite stellen und alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um ihn zu
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