Clarissa - Wo der Himmel brennt
Männern, denen Sie bisher in Skaguay begegnet sind, den Kopf verdreht.«
Wenn sie an den Reverend dachte, vermutete sie eher das Gegenteil, nahm das Kompliment aber lächelnd an. Selbst in Vancouver hatten sich die Männer nach ihr umgedreht, und manche Fischer hatten ihr sogar nachgepfiffen, obwohl sie nichts Außergewöhnliches entdecken konnte, wenn sie in den Spiegel sah. Vielleicht lag es an ihren indianischen Vorfahren. Ihr Urgroßvater war angeblich ein berühmter Medizinmann gewesen. »Du hast mich verzaubert«, hatte Alex mal zu ihr gesagt, nur im Spaß natürlich.
»Vielen Dank, Mister.«
»Ich würde Ihnen gern meinen Schutz anbieten, solange Ihr Mann noch verhindert ist«, sagte er. Nach Sam Ralston war er schon der zweite Mann, der ihr das anbot. »Würden Sie mir die Ehre erweisen, heute Abend mit mir essen zu gehen, Ma’am? Es gibt erstaunlich gute Restaurants in Skaguay.«
Clarissa war sichtlich angetan von dem Fremden, seiner gepflegten Sprache, die sie an einen Besucher aus den amerikanischen Südstaaten erinnerte, der bei den Whittlers zu Besuch gewesen war, als sie dort als Haushälterin gearbeitet hatte, war aber weit davon entfernt, sein Angebot anzunehmen. »Ihr Angebot ehrt mich, Sir, aber ich bin verheiratet, wie Sie wissen. Nein, das möchte ich lieber nicht tun. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen …«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie es sich anders überlegen«, sagte er, immer noch lächelnd. »Übrigens, mein Name ist Smith. Jefferson Randolph Smith. Die Leute nennen mich Soapy. Ein furchtbarer Name, nicht wahr?«
»Soapy Smith«, wiederholte sie flüsternd, nachdem er gegangen war.
16
Während des Essens war Clarissa allein mit der Wirtin. Der Rechtsanwalt und der Bürovorsteher waren bereits zum Klondike unterwegs, und Fitz traf sich mit einigen Freunden in Dyea, dem unscheinbaren Nachbarort, von dem aus die Goldsucher über den Chilkoot Pass zum Yukon River zogen. Er würde erst am nächsten Morgen wiederkommen, wenn überhaupt.
»Bei Fitz weiß man nie«, sagte Mrs Buchanan, als sie den Eintopf auftrug, »der Bursche ist unberechenbar. »Anfangs dachte ich noch, er wäre genauso goldgierig wie alle anderen, und jetzt scheint er sich überhaupt nichts mehr aus Gold zu machen. Der tut plötzlich so, als wollte er für alle Zeiten in diesem Drecksnest bleiben.«
Trotz der gedrückten Stimmung, in die sie Soapy Smith und der Reverend versetzt hatten, brachte sie ein Lächeln zustande. »Solange Sie hier sind, wird sich das auch nicht ändern. Sie sind ihm wichtiger als Gold. Er ärgert sich immer noch, dass Mr Buchanan Sie damals mit Wildblumen erobert hat.«
»Das hat er Ihnen erzählt?« Mrs Buchanan überspielte ihre Verlegenheit mit einem Kichern. »Nun ja, es waren nicht nur die Blumen. Er war ein stattlicher Bursche und hatte so was Seriöses an sich, nicht nur wegen der Bibeln, die er verkaufte. Er war sehr …« Sie ließ die Hand mit der Schöpfkelle ruhen und überlegte. »… gewissenhaft. Ob Sie’s glauben oder nicht, er hing jeden Abend seine Kleider über einen Stuhl, und das tun beileibe nicht alle Männer, hab ich mir sagen lassen. Fitz …« Sie überlegte wieder. »Fitz ist ein rastloser Bursche. Ein Abenteurer, der ständig von einem Ort zum anderen zieht und wissen will, wie es auf der anderen Seite der Berge aussieht. Zum Heiraten taugt der nicht, obwohl ich zugeben muss …«
Sie brach mitten im Satz ab und errötete. Verlegen wie ein Schulmädchen legte sie die Schöpfkelle beiseite und setzte sich Clarissa gegenüber. Sie hatte bereits gegessen und begnügte sich mit heißem Tee. »Dann steckt dieser Reverend Ike also tatsächlich mit Soapy Smith unter einer Decke«, wechselte sie rasch das Thema. Clarissa hatte ihr von ihren Begegnungen mit dem Reverend und Soapy Smith erzählt. »Ein ekelhafter Bursche, nicht wahr? Soapy Smith hat wenigstens Manieren.«
Das musste auch Clarissa zugeben. Wenn man ihr nicht gesagt hätte, was für ein Verbrecher er war, hätte sie ihn wahrscheinlich für einen seriösen Geschäftsmann gehalten. Ein Gentleman der alten Schule, der es verstand, eine Frau mit seinem Lächeln und übertriebenen Komplimenten in seinen Bann zu ziehen. Vielleicht war er deshalb so gefährlich. »Den Anführer einer Verbrecherbande habe ich mir ganz anders vorgestellt.«
Die Wirtin nickte betrübt. »Ich frage mich manchmal, ob Soapy Smith und seine Bande jemals genug haben werden, und was noch alles passieren muss, bevor die
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