Clarissa - Wo der Himmel brennt
finden. Alex müsste sich einen Unterschlupf suchen und Skaguay nie erreichen.
Sie schenkte sich einen Tee ein und setzte sich auf den Bettrand. Nachdenklich trank sie einen Schluck. Was hatte sie bloß getan, um auf diese Weise bestraft zu werden? War es nicht schon schlimm genug, dass Frank Whittler wieder in ihrer Nähe aufgetaucht war? Hätte das Schiff nicht eher anlegen und sie nach Skaguay mitnehmen können, bevor ihr Verfolger in Port Essington aufgetaucht war? Und warum wurde sie nach ihrer geglückten Flucht erneut auf die Probe gestellt, indem man sie über Alex’ Schicksal auch weiterhin im Ungewissen ließ und ihr so gefährliche Männer wie Soapy Smith und Reverend Ike auf den Leib rückten? Warum geriet sie ständig mit Betrügern und Lügnern aneinander, und warum konnte Skaguay nicht eine gewöhnliche Boomtown wie damals Barkerville beim Fraser-Goldrausch sein? Wie war es möglich, dass ein Verbrecher wie Soapy Smith die ganze Stadt beherrschte?
Ihr war klar, dass diese Gedanken zu nichts führten und sie nur unnötig aufwühlten. Alex würde bestimmt kommen, in ein paar Tagen schon. Ihm durfte einfach nichts passiert sein, und er hatte sicher einen plausiblen Grund für sein seltsames Verschwinden. Er war ein verlässlicher Mann, der seine Frau niemals im Stich lassen würde, auch wenn er manchmal leichtsinnig und immer für eine Überraschung gut war. Er lebte zu lange in der Wildnis und würde niemals der häusliche und brave Gatte sein, den sich manche Frauen wünschten. Doch er war ihr treu, und nichts, aber auch gar nichts, konnte ihn dazu bewegen, sich klammheimlich aus ihrem Leben zu stehlen. Er liebte sie, wie nur ein Mann eine Frau lieben konnte, das hatte er ihr während der letzten zwei Jahre oft genug bewiesen. Es musste irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen sein, das ihn gezwungen hatte, auf diese Weise zu verschwinden.
Sie stellte die Tasse auf den Nachttisch und zog sich aus. In Unterwäsche legte sie sich ins Bett, noch immer aufgewühlt von ihren Gedanken. Es war bereits dunkel, als sie das Licht löschte und ihren Kopf auf das feste Kissen bettete. Der beinahe volle Mond war aufgegangen und schien durchs Fenster herein, er ließ sich auch nicht verdrängen, als sie noch einmal aufstand und die Vorhänge zuzog.
Einen Augenblick hatte sie das Gefühl, einen Wolf neben dem ausgebrannten Wagen stehen zu sehen, aber bei genauerem Hinsehen entpuppte er sich als gewöhnlicher Hund. Ein Husky, der seinem Herrn davongelaufen war und auf Entdeckungsreise ging. »Hier könnte ich dich gut brauchen, Bones!«, richtete sie ihre Worte an den geheimnisvollen Wolf, der ihr schon so manches Mal geholfen hatte, aber es war natürlich vermessen zu glauben, er könnte ihr den weiten Weg bis nach Alaska nachgelaufen sein.
Vom Anblick des vermeintlichen Wolfes verstört, kroch sie unter ihre Decken und schloss die Augen. Dankbarerweise schlief sie sofort ein, doch im Schlaf überraschte sie ein quälender Albtraum, der sie dazu brachte, laut zu stöhnen und Alex’ Namen zu rufen. Sie streckte beide Arme aus, als wollte sie nach etwas greifen, und richtete sich verstört auf.
Als sie die Augen öffnete, sah sie Alex im Zimmer stehen. Nur wenige Schritte vor ihrem Bett verharrte er in der Dunkelheit, in derselben Kleidung, in der sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, nur dass einer seiner Stiefel fehlte und sein großer Zeh aus einem Loch in dem entblößten Socken ragte. Sie war viel zu erschrocken, um zu lachen, blickte Alex ungläubig an und begann plötzlich zu weinen. Sie stand auf und schlich langsam wie eine Schlafwandlerin auf Alex zu, immer noch mit ausgestreckten Armen, und flüsterte: »Alex! Mein Gott, Alex, bist du es wirklich?«
Alex blieb stumm und ließ mit keiner Regung erkennen, was er dachte oder fühlte. Fast unbeweglich stand er in der Mitte des Raumes, das Gesicht im Halbdunkel, sodass man es kaum erkennen konnte, und einen hellen Streifen auf der Brust, wo das Mondlicht ihn berührte. Der Streifen wurde breiter, als er sich bewegte und von ihr abrückte, gerade so schnell, dass sie ihn nicht berühren konnte. Sein Stiefel hinterließ kein Geräusch auf dem Holzboden, der sonst schon bei der leisesten Berührung knarrte und daran erinnerte, in welcher Eile das Haus errichtet worden war.
Clarissa musste hilflos mit ansehen, wie Alex aus dem Fenster stieg und vor ihren Augen verschwand, sich in Luft aufzulösen schien und erst wieder zu sehen war, als sie an das Fenster
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