Clarissa
würden«, schlug ein anderer Ritter vor.
»Ja«, sagte sie begierig, »laßt uns zur Burg zurückkehren. Gavin wird wissen, was zu tun ist. «
Sobald Clarissa im Sattel saß, legte sie ein Tempo vor, daß die Ritter ihr kaum zu folgen vermochten. Kaum berührten die Pferdehufe das Pflaster des Burghofes, als Clarissa schon aus dem Sattel glitt und ins Haus rannte.
Sie stürzte in den ersten, leeren Raum hinein, wollte zum nächsten rennen, blieb dann stehen und brüllte: »Gavin! «
Binnen Sekunden kam Gavin die Treppe heruntergelaufen, sein Gesicht eine Maske der Ungläubigkeit. Judith folgte ihm dicht auf den Fersen.
»Warst du das, der gerufen hat? « fragte Gavin tief beeindruckt. »Raine sagte, du hättest eine kräftige Stimme; aber so etwas… «
Clarissa schnitt ihm das Wort ab: »Raine ist in das Lager der Verbannten zurückgekehrt. Ich muß ihm nachreiten. Er haßt mich. Er begreift nicht, warum ich es tat. Ich muß es ihm erklären. «
»Beruhige dich«, sagte Gavin. »Erzähle mir alles von Anfang an. «
Clarissa versuchte, tief Atem zu holen. »Roger Chatworth… «
Der Name genügte, Gavin zur Explosion zu bringen. »Chatworth! Hat er dir etwas getan? Ist Raine ihm nachgeritten? Hol meine Männer«, sagte er zu einem der Ritter, die hinter Clarissa standen. »In voller Rüstung. «
»Nein! « rief Clarissa und legte dann ihr Gesicht in die Hände. Die Tränen überwältigten sie nun doch.
Judith legte den Arm um ihre Schultern. »Gavin, rede mit den Männern, während ich mich um Clarissa kümmere. « Sie führte Clarissa zu einer gepolsterten Nische unter einem Fenster, nahm ihre Hände in die ihren und sagte: »Nun berichte, was geschehen ist. «
Clarissas Tränen und ihr Gefühl der Dringlichkeit machten ihren Bericht fast unverständlich. Nur mit gezielten Fragen gelang es Judith, einen Zusammenhang in die Bruchstücke zu bringen.
»Ich verstand vieles nicht«, schluchzte Clarissa. »Roger redete von Dingen, die ich nicht begriff. Wer ist Lilian? Wer war sein Bruder? Was hatte er mit Marys Tod zu tun? Raine war so zornig. Er befahl, Roger zu töten, und ich mußte ihn davon abhalten. Ich mußte einfach! «
»Du hast richtig gehandelt, als du ihn daran hindertest. Nun möchte ich, daß du hier ruhig sitzen bleibst, während ich Gavin suche. Ich werde ihm deine Geschichte berichten, und Gavin wird Raine wieder zur Vernunft bringen. «
Judith fand ihren Gatten und zwanzig Ritter, die aussahen, als bereiteten sie sich zu einem Krieg vor, im Burghof. »Gavin! Was hast du vor? «
»Wir reiten Chatworth nach. «
»Chatworth? Aber was wird aus Raine? Er glaubt, Clarissa habe Chatworth’ Partei ergriffen. Du mußt zu Raine reiten und ihn zur Einsicht bringen. Clarissa schützte Raine — nicht Chatworth. «
»Judith, ich habe jetzt keine Zeit dazu, Liebeshändel zu schlichten. Ich muß Miles finden und ihn vor Chatworth warnen oder Chatworth finden und dafür sorgen, daß er keine Streitmacht sammelt und meinen Bruder damit verfolgt. «
»Überrede Miles, daß er Fiona freigibt. Das ist alles, was Chatworth von ihm verlangt«, sagte Judith. »Gib ihm seine Schwester zurück. «
»So, wie er mir meine zurückgegeben hat? Über einem Pferd hegend, mit dem Gesicht nach unten? «
»Gavin, bitte«, bettelte Judith.
Er schwieg einen Moment und zog sie dann an sich. »Raine ist im Wald sicherer aufgehoben als hier. Zweifellos wird Chatworth den König wissen lassen, wie Raine ihn bedrohte, und das wird die Wut des Königs von neuem entfachen. Clarissa sollte auf jeden Fall bei uns bleiben, und so betrachtet, können wir mit dieser Entwicklung zufrieden sein. Meine Sorge gilt jetzt eher Miles. Ich glaube nicht, daß er dem Mädchen etwas angetan hat; doch ich hatte gehofft, wir hätten Zeit, noch vor Chathworth herauszufinden, wo sich seine Schwester befindet. Ich muß meinen Bruder warnen und ihm Schutz geben, wenn er ihn braucht. «
»Und was wird aus Clarissa? Raine glaubt, sie habe ihn verraten. «
»Ich weiß nicht«, sagte Gavin, dieses Problem beiseite schiebend. »Schreib ihm und schick ihm einen Boten. Raine ist sicher — wütend; doch die Wut tut ihm nicht weh. Nun muß ich reiten. Kümmere dich um Clarissa, solange ich fort bin, und füttere meinen Sohn. «
Sie lächelte zu ihm hoch, und er küßte sie lange. »Paß auf dich auf«, rief sie ihm nach, während er mit seinen Männern durch das Tor ritt.
Judiths Lächeln hielt nicht lange an, als sie in das Haus zurückeilte und
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