Clarissa
Clarissa allein auf der Fensterbank sitzen sah.
»Reitet Gavin zu Raine? « flüsterte Clarissa, Hoffnung in ihrer Stimme.
»Nicht sofort. Vielleicht wird er später zu ihm reiten. Nun muß er Miles warnen, daß Roger Chatworth weiß, wer seine Schwester Fiona gefangenhält. «
Clarissa lehnte sich gegen die steinerne Brüstung zurück. »Wie konnte Raine nur glauben, daß ich ihn verraten würde? Chatworth bat mich, für ihn herauszufinden, wo Fiona steckt doch ich weigerte mich, es ihm zu sagen. Ich wollte nur Raine helfen, der ganzen Familie helfen. Nun habe ich alles nur noch schlimmer gemacht. «
»Clarissa«, sagte Judith und nahm die kalten Hände ihrer Schwägerin in ihre. »Da sind Dinge, die du nicht weißt, Dinge, die geschahen, ehe du zur Familie gehörtest. «
»Ich kenne die Geschichte von Marys Tod. Ich war bei Raine, als er sie erfuhr. «
»Davor geschahen noch andere Dinge… «
»Haben sie etwas mit dieser Lilian zu tun, die Roger erwähnte, und mit seinem Bruder? «
»Ja. Lilian Chatworth war der Anfang von allem. «
Clarissa war betroffen von der Kälte in Judiths Augen, von der Art, wie sich ihre lieblichen Züge veränderten. »Wer ist Lilian? « flüsterte Clarissa.
»Gavin war in Lilian Valence verliebt«, sagte Judith mit kleiner Stimme. »Aber die Frau wollte ihn nicht heiraten. Statt dessen angelte sie sich einen reichen Grafen, Edmund Chatworth. «
»Edmund Chatworth«, wiederholte Clarissa. Der Mann, den Jocelin ermordete.
»Edmund wurde eines Nachts von einem Sänger getötet, der nie gefaßt wurde«, fuhr Judith fort, ahnungslos, daß Clarissa den Täter kannte.
»Ich habe immer geglaubt, daß Lilian Chatworth mehr von dem Geschehen wußte, als sie Gavin erzählte. Als Witwe meinte sie, sie könnte es sich leisten, Gavin zu heiraten; doch Gavin weigerte sich, mich zu verstoßen und sie zu heiraten. Lilian war eine sehr schlechte Verliererin. « Judiths Stimme troff vor Sarkasmus. »Sie nahm mich gefangen und drohte, mir kochendes Öl auf das Gesicht zu gießen. Es gab ein Handgemenge, und das Öl verunstaltete Lilian. «
»Roger sagte, sein Haushalt bestehe nur noch aus einer bösen Schwägerin. Sicherlich kann er Mary doch nicht wegen ihrer Narben Schande angetan haben? «
»Nein, später war Roger in Schottland und traf dort mit der Frau zusammen, die König Heinrich Stephen als Braut versprochen hatte. Alicia ist reich und ein Preis, um den zu kämpfen sich lohnte. Roger beanspruchte sie für sich, und die beiden kämpften um sie. Roger ist ein stolzer Mann und ein berühmter Turnierritter; doch Stephen blieb Sieger in diesem Kampf, und in seiner Wut griff Roger Stephen von hinten an. «
»Stephen wurde dabei nicht verletzt, oder doch? «
»Nein; doch Rogers Ruf als Ritter war zerstört. Alle Edelleute in England lachten ihn aus und bezeichneten fortan einen Stoß aus dem Hinterhalt einen kleinen >Chatworth<. «
»Und so schlug Roger zurück, indem er Mary gefangennahm.
Er muß in den Montgomerys die Ursache all seiner Erniedrigungen gesehen haben«, sagte Clarissa.
»So ist es. Er bat Stephen auf dem Turnierfeld, ihn zu töten; doch Stephen weigerte sich, und Roger empfand das als zusätzliche Beleidigung. Deshalb nahm Roger Mary und Alicia gefangen und hielt sie eine Weile in seinem Schloß fest. Ich glaube nicht, daß er Mary entehrt hätte, wenn nicht Brian gewesen wäre. «
»Und wer ist Brian? «
»Rogers jüngerer Bruder, ein verkrüppelter junger Mann, der sich in Mary verliebte. Als Brian zu Roger sagte, daß er Mary heiraten wolle, betrank sich Roger und stieg in Marys Bett. Duft weißt ja, was Mary danach tat. Brian brachte ihre Leiche hierher zu uns. «
»Und nun hat Miles Fiona in seinem Besitz«, sagte Clarissa. | »Raine ist geächtet, Roger hat seine Familie und sein Vermögen verloren, und Miles Leben ist vermutlich in Gefahr. Gibt es denn keinen Weg, diesen Haß zu beenden? Was passiert, wenn Roger Miles tötet? Was wird dann geschehen? Wer wird der nächste sein? Wird einer von uns noch sicher leben können? Werden unsere Kinder in Haß auf die Chatworth aufwachsen? Wird mein Kind mit Rogers Sohn kämpfen müssen? «
»Still, Clarissa«, sagte Judith sanft und zog Clarissa in ihre Arme. »Gavin ist fortgeritten, um Miles zu warnen, und dann wird er in Sicherheit sein. Zudem ist Alicia mit ihren Männern zur Stelle, und selbst, wenn es Chatworth gelänge, eine Armee auszuheben, könnte er den MacArrans nicht widerstehen. «
»Ich hoffe, du
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