Clark Mary Higgins
entsprach.«
Er brach ab. »Ich muß jetzt gehen. Neeve wird gleich da sein.
Sie hat die unangenehme Aufgabe, festzustellen, ob die Kleider,
die Ethel trug, aus ihrem Geschäft stammen.«
»Ich hoffe für sie, daß es nicht der Fall ist«, sagte Sal. »Sie
hat diese Art von Publizität nicht nötig. Sag Neeve, sie soll vorsichtig sein, sonst sagen die Leute, sie möchten in ihren Kleidern nicht begraben sein. Mehr ist nicht nötig, um den Ruf von
›Neeve’s Boutique‹ zu ruinieren.«
Um drei Uhr stand Jack Campbell vor der Wohnungstür der
Kearneys. Neeve hatte sich, nachdem sie aus dem Geschäft nach
Hause gekommen war, umgezogen und trug einen rotschwarz
karierten hüftlangen Rippenpullover und lange Hosen. Den Harlekin-Eindruck unterstrichen die Ohrgehänge, die sie selber für
dieses Ensemble entworfen hatte: Masken der Komödie und der
Tragödie aus Onyx und Granaten.
»Ihre Hoheit, die Schachkönigin«, bemerkte Myles trocken,
als er Jack die Hand schüttelte.
Neeve zuckte die Achseln. »Ich kann dir nur sagen, Myles,
daß mir das, was wir jetzt zu tun haben, nicht besonders angenehm ist. Aber Ethel, die so viel Freude an der Mode fand, hätte
dieses neue Modell gefallen.«
Die letzten Strahlen der verschwindenden Sonne gaben Myles’
Arbeitszimmer eine freundliche Wärme. Die Wettervorhersage
erwies sich als richtig. Wolken zogen über dem Hudson River
auf. Jack betrachtete wohlgefällig einige Dinge, die ihm am Vorabend entgangen waren. Das hübsche kleine Ölbild der toskanischen Hügel, das links neben dem Kamin hing. Die gerahmte
sepiafarbene Fotografie eines kleinen Kindes auf den Armen einer dunkelhaarigen jungen Frau von beeindruckender Schönheit.
Was mochte es heißen, die Frau, die man liebte, durch einen
Mörder zu verlieren? Der Schmerz mußte unerträglich sein.
Er bemerkte, daß Neeve und ihr Vater sich mit demselben
trotzigen Gesicht anstarrten. Die Ähnlichkeit war so groß, daß er
am liebsten gelächelt hätte. Er spürte jedoch, daß das Thema
Mode offenbar ein ständiger Anlaß für kleine Auseinandersetzungen zwischen ihnen war, in die er lieber nicht hineingezogen
werden wollte. Er ging zum Fenster, wo ein sichtlich beschädigtes Buch zum Trocknen in der Sonne lag.
Myles hatte frischen Kaffee gemacht und goß ihn in schöne
Porzellanbecher von Tiffany. »Eins kannst du mir glauben,
Neeve«, sagte er, »deine Freundin Ethel braucht künftig keine
Unsummen mehr für extravagante Kleider auszugeben. Sie liegt
jetzt im Evaskostüm auf einem Tisch im Leichenschauhaus mit
einer Identitätsetikette am großen Zeh.«
»Hat Mutter auch so geendet?« entfuhr es Neeve mit leiser,
wütender Stimme. Dann hielt sie erschrocken inne, rannte zu
ihrem Vater und legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Oh,
Myles, verzeih! Das war gemein von mir, so etwas zu sagen.«
Myles stand unbeweglich wie eine Statue mit der Kaffeekanne in der Hand. Eine Ewigkeit von zwanzig Sekunden verstrich.
»Ja«, sagte er dann, »genau so hat auch deine Mutter geendet.
Und es war gemein von uns beiden, so etwas zu sagen.«
Er wandte sich an Jack. »Entschuldigen Sie den Familienstreit.
Zu ihrem Glück oder Unglück hat meine Tochter ein italienisches
Temperament, gepaart mit irischer Empfindlichkeit geerbt. Ich für
mein Teil habe nie begriffen, daß Frauen so viel Theater um
Kleider machen können. Meine eigene Mutter trug während der
Woche Kittelschürzen und hatte ein bedrucktes Kleid mit Blumenmuster für die Messe am Sonntag und für die Festessen des
Polizeiklubs. Über dieses Thema habe ich mit Neeve, genau wie
früher mit ihrer Mutter, interessante Diskussionen.«
»Das habe ich gemerkt.« Jack nahm sich einen Becher von
dem Tablett, das Myles ihm hinhielt. »Ich bin froh, daß auch
noch andere Leute zuviel Kaffee trinken.«
»Ein Whisky oder ein Glas Wein wären wahrscheinlich willkommener«, sagte Myles, »aber das sparen wir uns für später. Ich
habe noch eine ausgezeichnete Flasche Burgunder, die uns zur
gegebenen Stunde wieder erwärmen wird, was immer mein Arzt
auch dazu sagen mag.« Er ging zum Weingestell, das sich im unteren Teil des Bücherschranks befand, und zog eine Flasche heraus.
»Früher konnte ich den einen Wein nicht vom anderen unterscheiden«, erzählte er Jack. »Der Vater meiner Frau hatte einen
wirklich erlesenen Weinkeller, so daß Renata im Haus eines
Kenners aufwuchs. Von ihr hab ich gelernt, was ein guter Wein
ist. Sie hat mir auch noch
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