Clark Mary Higgins
viele andere Dinge beigebracht, von
denen ich nichts wußte.« Er deutete auf das Buch auf der Fensterbank. »Das gehörte ihr. Es ist vorgestern abend naß geworden. Könnte man es irgendwie restaurieren?«
Jack nahm das Buch in die Hand. »Wie schade«, sagte er.
»Diese Zeichnungen müssen reizend gewesen sein. Haben Sie
ein Vergrößerungsglas?«
»Irgendwo ja.«
Neeve suchte auf Myles’ Schreibtisch und brachte eine Lupe.
Sie sahen beide zu, wie Jack die fleckigen, welligen Buchseiten
eingehend betrachtete. »Die Zeichnungen sind nicht wirklich
verwischt worden«, sagte er. »Wissen Sie was? Ich erkundige
mich einmal bei meinen Angestellten, ob jemand mir einen guten Restaurator nennen kann.« Er gab Myles das Vergrößerungsglas zurück. »Übrigens halte ich es nicht für gut, daß die
Sonne draufscheint.«
Myles nahm das Buch und die Lupe und legte beides auf seinen Schreibtisch. »Ich bin für alles dankbar, was Sie tun können.
Und jetzt sollten wir uns auf den Weg machen.«
Sie setzten sich zu dritt auf die vorderen Sitze von Myles’
sechs Jahre altem Lincoln. Myles chauffierte. Jack Campbell
legte seinen Arm ungezwungen auf die Rücklehne. Neeve versuchte, nicht darauf zu achten, sich nicht an ihn zu lehnen, als
der Wagen von der Schnellstraße in die Auffahrtsrampe zur
George-Washington-Brücke abbog.
Jack berührte ihre Schulter. »Entspannen!« sagte er. »Ich beiße nicht.«
Das Büro des Bezirksanwalts von Rockland County war typisch
für die Büros von Bezirksanwälten im ganzen Land. Vollgestopft.
Altmodische, unbequeme Möbel. Akten, die sich auf Tischen und
Schränken türmten. Überheizte Räume, außer wenn ein Fenster
offenstand und ein eiskalter, unangenehmer Durchzug herrschte.
Zwei Inspektoren der Mordkommission warteten bereits auf
sie. Neeve merkte, daß eine Veränderung mit Myles vorging,
kaum daß er das Gebäude betreten hatte. Sein Kinn wurde markanter, sein Gang aufrechter. Seine Augen bekamen einen stahlblauen Glanz. »Er ist in seinem Element«, flüsterte sie Jack
Campbell zu. »Ich weiß gar nicht, wie er das Untätigsein im
letzten Jahr ausgehalten hat.«
»Der Bezirksanwalt bittet Sie zu sich ins Büro, Sir.« Die Inspektoren wußten offensichtlich, daß sie den Mann vor sich hatten, der der angesehene Chef der Polizei der Stadt New York
gewesen war und ihr am längsten vorgestanden hatte.
Der Bezirksanwalt, Myra Bradley, war eine anziehende junge
Frau, die kaum mehr als sechs- oder siebenunddreißig Jahre alt
sein konnte. Neeve genoß das Erstaunen auf Myles’ Gesicht. Du
bist wirklich ein männlicher Chauvinist, dachte sie. Du mußt
doch gewußt haben, daß Myra Bradley letztes Jahr ernannt wurde, aber du hast es lieber verdrängt.
Neeve und Jack wurden vorgestellt. Myra Bradley bedeutete
ihnen mit einer Geste, sich zu setzen, und kam gleich zur Sache.
»Es geht hier um die Frage der örtlichen Zuständigkeit. Wir wissen, daß die Leiche transportiert worden ist, aber wir wissen
nicht, von wo. Die Frau kann im Park nur fünf Schritte von der
Stelle, an der sie gefunden wurde, ermordet worden sein. In diesem Fall sind wir zuständig.«
Die Bezirksanwältin zeigte auf den Aktenordner auf ihrem
Schreibtisch. »Laut dem Befund des Gerichtsmediziners wurde
der Tod durch einen heftigen Schnitt mit einem scharfen Gegenstand verursacht, der die Halsschlagader durchtrennte und die
Luftröhre aufschlitzte. Möglicherweise hat sie sich gewehrt. Ihr
Unterkiefer war schwarz und blau unterlaufen, und sie hatte einen Schnitt am Kinn.
Im übrigen ist es ein Wunder, daß sie nicht schon von Tieren
gefunden wurde. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil sie fast
vollständig mit Steinen bedeckt war. Sie sollte ja nicht gefunden
werden. Sie an diesem Ort zu verstecken, setzte sehr sorgfältiges
Planen voraus.«
»Das heißt, Sie suchen nach jemand, der die Gegend gut
kennt«, sagte Myles.
»Ja. Es ist unmöglich, die genaue Todeszeit festzustellen, aber
nach Aussage ihres Neffen ist sie am Freitag der letzten Woche
nicht zu der Verabredung mit ihm erschienen. Die Leiche war ziemlich gut erhalten, und wenn wir uns die Wetterbedingungen ansehen,
stellen wir fest, daß der Kälteeinbruch vor neun Tagen, am Donnerstag, erfolgte. Wenn Ethel Lambston also am Donnerstag oder Freitag
gestorben ist und kurz darauf begraben wurde, würde dies erklären,
warum noch keine Verwesung eingetreten ist.«
Neeve saß rechts vom Schreibtisch der Distriktanwältin,
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