Clark Mary Higgins
Myles von der ständigen Sorge um seine Tochter befreit zu haben.
Warum bin ich dann beunruhigt wegen Neeve? fragte Jack
sich und wußte die Antwort so selbstverständlich, als ob er die
Frage laut gestellt hätte. Weil ich sie liebe. Weil ich nach ihr
gesucht habe seit jenem Tag, als sie aus dem Flugzeug vor mir
weggelaufen ist.
Jack bemerkte, daß sie alle ihr Glas ausgetrunken hatten. Er
griff nach dem von Neeve. »Heute abend sollten Sie, glaube ich,
nicht nur auf einem Bein stehen.«
Während sie den zweiten Cocktail tranken, sahen sie die
Abendnachrichten. Ausschnitte von Nicky Sepettis Begräbnis
wurden gezeigt, ebenso die leidenschaftliche Erklärung seiner
Witwe. »Was hältst du davon?« fragte Neeve ihren Vater.
Myles schaltete den Fernseher ab. »Was ich davon halte, ist
nicht druckreif.«
Sie gingen zum Abendessen in »Neary’s Pub«. Jimmy Neary,
ein Ire mit blitzenden Augen und einem verschmitzten Lächeln,
eilte auf sie zu und begrüßte sie. »Commissioner, welche Freude, Sie zu sehen!« Sie wurden zu einem der besten Seitentische
geführt, die für besondere Gäste reserviert waren. Jimmy wurde
mit Jack bekannt gemacht, der gleich die gerahmten Fotografien
an den Wänden erläutert bekam. »Das ist er, höchstpersönlich.«
Ein Bild des ehemaligen Gouverneurs von New York war so
aufgehängt, daß man es nicht übersehen konnte. »Nur die Creme
ist da oben«, sagte Jimmy zu Jack. »Sehen Sie, wo der Commissioner hängt?« Das Foto von Myles hing genau dem des Gouverneurs gegenüber.
Es wurde ein angenehmer Abend. Bei Neary trafen sich viele
Politiker und Kirchenleute. Ein paarmal blieben Gäste an ihrem
Tisch stehen und begrüßten Myles. »Wie schön, Sie wiederzusehen, Commissioner. Sie scheinen wieder ganz fit zu sein.«
»Er genießt das«, flüsterte Neeve Jack zu. »Er haßte es, krank
zu sein, und hat sich ein Jahr lang überhaupt nirgends blicken
lassen. Jetzt scheint er soweit zu sein, in die Wirklichkeit zurückzukehren.«
Senator Moynihan kam zu ihnen herüber. »Myles, ich hoffe bei
Gott, daß Sie die Leitung der Drogenfahndungsstelle übernehmen
werden«, sagte er. »Wir brauchen Sie. Wir müssen diese Rauschgiftschweinerei loswerden. Sie sind der richtige Mann.«
Als der Senator gegangen war, hob Neeve den Blick. »Du
hast was von ›Fühler ausstrecken‹ gesagt. Und das ist schon so
weit gediehen?«
Myles vertiefte sich in die Speisekarte. Margaret, seine langjährige, bevorzugte Kellnerin, kam zu ihnen. »Wie sind denn die
Scampi nach Kreolenart, Margaret?«
»Ausgezeichnet.«
Myles seufzte. »Das war mir schon klar. Aber in Anbetracht
meiner Diät bringen Sie mir bitte eine gekochte Flunder.«
Sie gaben ihre Bestellung auf, und während sie von dem Wein
tranken, begann Myles: »Es bedeutet natürlich, daß ich ziemlich
viel Zeit in Washington sein werde. Und das heißt, daß ich dort
eine Wohnung mieten muß. Ich glaube nicht, daß ich dich hier
allein gelassen hätte, Neeve, wenn Nicky Sepetti frei herumgelaufen wäre. Aber jetzt fühle ich mich deinetwegen beruhigt.
Seine Leute haßten Nicky dafür, daß er die Ermordung deiner
Mutter angeordnet hatte. Wir haben sie nicht aus den Augen
gelassen, bis die meisten der alten Garde sich wieder bei ihm
zusammenfanden.«
»Dann glauben Sie also seiner Erklärung auf dem Totenbett
nicht?« fragte Jack.
»Wer in dem Glauben erzogen wurde, daß Reue auf dem Totenbett einen Menschen ins Paradies kommen läßt, der kann es
schwer fassen, daß man mit einem Meineid auf den Lippen ins
Jenseits geht. Aber im Fall von Nicky bleibe ich bei meiner ursprünglichen Reaktion. Es war eine Abschiedsgeste für seine
Angehörigen, und offenbar sind sie darauf reingefallen. Doch
das reicht für diesen schlimmen Tag. Reden wir lieber über etwas Interessantes. Sind Sie schon lange genug in New York,
Jack, um beurteilen zu können, ob der Bürgermeister eine neue
Wahl gewinnen wird?«
Als sie beim Kaffee waren, kam Jimmy Neary nochmals an
ihren Tisch. »Wußten Sie, Commissioner, daß die Leiche der
Lambston von einer Dame gefunden wurde, die zu meinen alten
Gästen zählt? Kitty Conway. Sie kam früher öfter mit ihrem
Mann hierher. Sie ist wirklich eine fabelhafte Frau.«
»Wir haben sie heute nachmittag bereits kennengelernt«, sagte Myles.
»Richten Sie ihr bitte einen Gruß von mir aus, wenn Sie sie wiedersehen, und sagen Sie ihr, sie solle sich nicht so rar machen.«
»Vielleicht kann ich noch etwas Besseres
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