Claudius Bombarnac
Linken. Nach Einbruch der Nacht wird es mir ein Leichtes sein, dem Packwagen einen Besuch abzustatten, denn dieser ist nur durch die Schiebthür verschlossen, auf die der Gang zwischen den aufgestapelten Frachtstücken hinführt. Dieser Vorderpackwagen ist übrigens nur für die nach China durchgehenden Gepäckstücke bestimmt, während die für die turkestanische Strecke den Schlußwagen füllen.
Als ich näher trete, befindet sich der berühmte Kasten noch auf dem Perron. Bei genauer Betrachtung bemerke ich daß er an jeder Seite Luftlöcher hat, und daß die eine Wand aus zwei Füllungen besteht, deren eine in einem Falze hinabgleiten kann. Das bringt mich auf den Gedanken, der Gefangene möge sich die Möglichkeit vorbehalten haben, sein Gefängniß, wenigstens in der Nacht, verlassen zu können.
Eben jetzt heben die Gepäckträger den Kasten auf und ich sehe mit Befriedigung, daß sie die auf dessen Wänden befindlichen Empfehlungen sorglich beachten …. Der Kasten wird mit großer Vorsicht niedergesetzt, an die Wand gestellt, das »Oben« aufwärts, das »Unten« abwärts, während die Vorderwand mit der verschiebbaren Füllung frei bleibt, wie die Thür eines Schrankes. Wahrlich, der Kasten ist ja der reine Schrank, den ich schon zu öffnen verstehen werde.
Nun gilt es zu erfahren, ob der Packmeister sich in diesem Güterwagen aufhält …. Nein, ich überzeuge mich, daß er für gewöhnlich im Schlußpackwagen zu schaffen hat.
»Da steht er ja, der Zerbrechliche! ruft einer der Leute, nachdem er nachgesehen, daß das Frachtstück sicher verstaut ist.
– Hier kann er nicht mehr Schaden nehmen, meint ein Anderer. Die Spiegelscheiben werden ja in bestem Zustand nach Peking kommen … wenn der Zug nicht etwa entgleist ….
– Oder nicht auf ein Hinderniß rennt! antwortet der Erste. Und das ist in der Welt auch schon dagewesen!«
Sie haben Recht, die wackeren Leute. So etwas ist dagewesen … und wird auch ferner vorkommen.
Da tritt der Amerikaner zu mir und wirst noch einen letzten Blick auf sein Magazin von Back-, Spitz-und Schneidezähnen, natürlich nachdem er das unausbleibliche
wait a bit
vorangeschickt hat.
»Sie wissen, Herr Bombarnae, beginnt er, daß die Reisenden vor Abgang des Zuges im ›Hôtel du Czar‹ speisen werden. Es ist jetzt Zeit dazu. Werden Sie mich begleiten?
– Ich bin ganz der Ihrige«.
Wir begeben uns nach dem Speisesaale.
Alle meine Nummern sind schon da. Nummer 1 – Fulk Ephrjuell – nimmt, wohl zu beachten, neben Nummer 2 – Miß Horatia Bluett – Platz. Das französische Ehepaar – 4 und 5 – sitzt dicht beisammen. Die Nummer 3 – Major Noltitz – richtet sich gegenüber den Nummern 9 und 10 ein, das heißt gegenüber den beiden Chinesen, denen ich diese Zahlen in meinem Notizbuche zuertheilt habe. Die dicke 6 – der Deutsche – senkt schon die rüsselförmige Nase in seinen Suppenteller. Ich sehe auch, daß der Zugführer Popof – Nummer 7 – einen für ihn vorbehaltenen Platz hat. Die anderen europäischen oder asiatischen Gäste haben sich ebenfalls eingestellt, offenbar mit der löblichen Absicht, der Mahlzeit alle Ehre anzuthun.
Ah, ich vergaß meine Nummer 8, den großprahlerischen Gentlemam, dessen Name mir noch unbekannt ist, und der entschlossen scheint, die russische Küche für weit schlechter als die englische zu erklären.
Ich bemerke auch, mit welcher Aufmerksamkeit Herr Caterna seine Gattin versorgt, wie er sich bemüht, sie die Zeit wieder einholen zu lassen, die sie durch die Seekrankheit auf der »Astara« verloren hat. Er reicht ihr zu trinken, wählt für sie die besten Bissen u.s.w.
»Welches Glück, hör’ ich ihn seiner Gattin zuflüstern, daß wir nicht unter dem Wind des Teutonen segeln, denn dann blieb’ für uns nichts übrig!«
In der That sitzt er gegen diesen »vor dem Wind«, das heißt, er erhält die herumgereichten Schüsseln eher als der Baron Weißschnitzerdörfer, der sich gar nicht geniert haben würde, diese unbarmherzig zu plündern.
Diese so in Seemannsart hingeworfene Bemerkung reizt mich zum Lachen, und Herr Caterna, der das beobachtet, zwinkert mit dem Auge und zuckt leise mit der Schulter nach der Seite des Barons.
Es liegt auf der Hand, diese Franzosen sind nicht von vornehmem Herkommen, keine »Selects« des »Highlife«, da ich sie aber für ehrliche Leute halte, gebe ich ihnen Antwort, und wenn’s darauf ankommt, mit Landsleuten ein gutes Garn zu spinnen, darf man sich im turkestanischen Lande
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