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Claudius Bombarnac

Claudius Bombarnac

Titel: Claudius Bombarnac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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nicht gar zu wählerisch benehmen.
    Das Essen ist zehn Minuten vor der Abfahrt zu Ende. Die Glocke ertönt, und Jeder strebt dem Zuge zu, dessen Locomotive schon dicke Rauchwolken ausbläst.
    Im Geiste bringe ich noch ein letztes Glas dem Gotte der Reporter und bitte ihn, mir nicht all’ und jedes Abenteuer vorzuenthalten.
    Nachdem ich mich dann noch überzeugt, daß alle meine Nummern sich in Waggons erster Classe befinden – was mir die Aussicht eröffnet, sie nicht aus dem Auge zu verlieren – nehme auch ich meinen Platz ein.
    Der Baron Weißschnitzerdörser – welch’ langer Name! – hat sich diesmal nicht verspätet. Im Gegentheil, heute ist der Zug gegen den Fahrplan um fünf Minuten im Rückstande.
    Da fängt der Deutsche auch schon an, sich zu beklagen, zu schimpfen, seinem Zorn Luft zu machen und droht, die Bahngesellschaft auf Schadenersatz zu verklagen …. Zehntausend Rubel, weiter nichts, wenn er den Anschluß versäumt! Ja, woran denn, da er bis nach Peking fährt? …
    Endlich zerreißt das letzte Pfeifen die Luft, die Waggons beginnen sich zu bewegen und ein gewaltiges Hurrah begleitet den Zug der Groß-Transasiatischen Eisenbahn.

Sechstes Capitel.
    Sitzt der Mensch zu Pferde, so unterscheiden sich seine Gedanken wesentlich von denen, die ihm kommen, wenn er zu Fuß ist; der Unterschied wird noch größer, wenn er mit der Eisenbahn fährt. Die Ideenverbindung, der Charakter der Schlußfolgerungen, die Aneinanderreihung der Thatsachen, die unter seinem Schädel vor sich geht, nehmen eine der des Zuges gleichkommende Schnelligkeit an. Es »rollt« ihm im Kopfe, wie er im Waggon dahinrollt. Ich empfinde gleichfalls eine besondere Geistesverfassung, die sich in einer Begierde, Alles zu beobachten, in dem Verlangen, mich zu unterrichten – und das mit der Geschwindigkeit von fünfzig Kilometer in der Stunde – ausspricht. Diese Kilometertaxe soll unser Zug durch Turkestan einhalten, um dann auf dreißig zurückzugehen, wenn er die Provinzen des Himmlischen Reiches durcheilt.
    Das erfahre ich durch Nachschlagen in dem Fahrplan, den ich auf dem Bahnhofe gekauft hatte. Dem ist eine lange, mehrfach zusammengeschlagene Landkarte angeschlossen, die den ganzen Verlauf der Bahnlinie zwischen dem Caspischen Meere und den Ostküsten von China vor Auge führt. Ich studire also nach der Abfahrt von Uzun-Ada meine Transasiatische Bahn ebenso, wie von Tiflis aus die Transgeorgische Strecke.
    Das Gleis hat eine Breite von einem Meter sechzig zwischen den Schienen – die Spurweite aller russischen Bahnen, d.h. neun Centimeter mehr als alle übrigen europäischen Bahnen. Man erzählt sich, daß Deutschland schon eine ungeheure Menge Achsen von dieser Abmessung für den Fall habe herstellen lassen, daß es zu einem Einfall in Rußland genöthigt würde. Ich denke nur, die Russen werden nicht minder vorsichtig gewesen sein, wenn sie in die Lage kämen, die deutsche Grenze zu überschreiten.
    An vielen Stellen erheben sich mächtige Dünen, durch die die Bahn von Uzun-Ada verläuft. Den Meeresarm, der die »Lange Insel« vom Festland trennt, überschreitet sie auf zwölfhundert Meter langem Damme, der durch soliden Steinunterbau gegen den Anprall der Wellen geschützt ist.
    Wir haben bereits mehrere Stationen hinter uns, ohne anzuhalten, darunter Mikhaïlov, etwa eine Stunde von Uzun-Ada. Von hier ab liegen diese aber fünfzehn bis dreißig Kilometer auseinander. Diejenigen, die ich gesehen habe, zeigten das Aussehen von Villenbauten mit Ballustraden und italienischen Dächern.
    Eine merkwürdige Erscheinung in Turkestan und in der Nachbarschaft von Persien. Die Wüste erstreckt sich bis in die Nähe von Uzun-Ada, und die Bahnstationen bilden ebensoviele, von der Hand des Menschen geschaffene Oasen. In der That ist der Mensch es gewesen, der hier die dürftigen, meergrünen Pappeln gepflanzt hat, denen jene Anlagen ein wenig Schatten verdanken; er hat mit großen Unkosten das frische Wasser hierhergeleitet, das in erquickendem Strahle in hübsche Sammelbehälter fällt. Ohne diese hydraulischen Arbeiten gäbe es keine Blumen, kein grünes Fleckchen in diesen Oasen. Sie sind die Nährquellen der Bahnlinie, und trockene Quellen können die Locomotiven nicht brauchen.
    Ich habe wahrhaftig in meinem Leben nicht so nackte, dürre, jeden Pflanzenwuchs ausschließende Landstrecken gesehen, wie sie sich hier jenseits Uzun-Adas anscheinend über zweihundert Kilometer weit ausdehnen. Als der General Annenkof in Mikhaïlov

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