Claudius Bombarnac
so muß er auch über das Land vielseitig aufklären können, denn schon seit zehn Jahren ist er bei der Transcaspischen Bahn zwischen Uzun-Ada und Pamir angestellt, und seit einem Monat schon legt er die Strecke bis nach Peking als Zugbegleiter mit zurück.
Ich ertheile ihm die Nummer Sieben im Notizbuche und wünsche, daß er es an Belehrungen für mich nicht fehlen läßt. Natürlich verlangt es mich nicht nach Reiseunfällen, sondern nur nach kleineren Vorkommnissen, die würdig erscheinen, im »XX. Jahrhundert« verewigt zu werden.
Unter den Reisenden, die sich auf dem Perron bewegen, sind mehrere Juden, weit mehr an ihrem Typus als an der Kleidung zu erkennen. Früher waren diese in Asien nur berechtigt, den »Toppe«, eine Art runde Mütze, und einen einfachen Strick als Gürtel – ohne jede Seidenverzierung – zu tragen, und eine Uebertretung dieser Vorschrift war mit Todesstrafe bedroht. Ebenso durften sie nach einzelnen Städten nur auf Eseln reitend, nach anderen wieder nur zu Fuß kommen. Jetzt schmücken sie sich mit dem orientalischen Turban und fahren in der Kutsche, wenn’s ihr Geldbeutel erlaubt. Wem würde es einfallen, sie daran zu hindern, da sie doch Unterthanen des Weißen Czaren sind, moskowitische Bürger, die sich ganz wie ihre turkmenischen Landsleute aller civilen und politischen Rechte erfreuen?
Hier zeigten sich auch Tadjiks von persischer Abstammung, die schönsten Männer, die man sich denken kann. Sie haben ihre Billets gelöst, die einen nach Merv oder Bukhara, die andern nach Samarkand, Taschkend oder Kokhan, und sie werden die russisch-chinesische Grenze nicht überschreiten. In der Mehrzahl reisen sie zweiter Classe. Unter den Fahrgästen erster Classe bemerke ich einige Usbeks, ziemlich gewöhnliche Erscheinungen, mit abfallender Stirn, hervorspringenden Backenknochen, dunklem Teint – früher die Herren des Landes, aus denen die Emire und Khans Centralasiens hervorgingen.
Der Leser dürfte wohl fragen, ob sich denn keine sonstigen Europäer auf dem Zuge der Groß-Transasiatischen Bahn befunden hätten. Ich zähle deren kaum fünf bis sechs, einige Händler aus dem sibirischen Rußland und einen einzigen jener unvermeidlichen Gentlemen aus dem Vereinigten Königreich, der habituellen Gäste der Eisenbahnen und Dampfschiffe. Man mußte sich nämlich erst einen Erlaubnißschein beschaffen, um die Transcaspische Bahn benutzen zu dürfen – und einen solchen ertheilte die russische Verwaltung nicht eben gern. Unser Reisegefährte muß aber doch einen erhalten haben.
Diese Persönlichkeit erscheint mir übrigens der Beachtung würdig. Der Mann ist groß, mager, verräth seine fünfzig Jahre durch das Pfeffer-und Salzhaar und den grauschimmeligen Backenbart. In seinem Gesicht liegt der Ausdruck des Hochmuths oder vielmehr der Verachtung, zu gleichen Theilen zusammengesetzt aus der Vorliebe für Alles, was englisch ist, und der Mißachtung alles dessen, was es nicht ist. Solche Leute sind zuweilen nicht zu ertragen, nicht einmal für die eigenen Landsleute, und Dickens, Thackeray und Andere haben sie wiederholt an den Pranger gestellt. Während der Mann hier sich hochmüthig in die Brust wirst, hätte man den Blick sehen sollen, den er dem Bahnhof von Uzun-Ada, dem zur Abfahrt fertigen Zuge, den Beamten, dem Waggon, worin er mit der Reisetasche seinen Platz belegte, zugeschleudert hat. Der Gentleman scheint hier die angeerbte Eifersucht Englands auf Alles, was russischer Geist und russische Thatkraft je zu Stande gebracht, vertreten zu wollen. Doch darüber werd’ ich mir schon klar werden, vorläufig geben wir dem Protzen die Nummer acht. Sonst sind keine besonders in die Augen fallenden Individuen zu erblicken. Das ist schade. Wenn wenigstens der Kaiser von Rußland von der einen und der Sohn des Himmels von der andern Seite eine Zusammenkunft an den Grenzen ihrer Reiche gehabt hätten, das hätte Feste und Glanz und Berichte gegeben, ein Futter für tausend Briefe und Telegramme!
Der Zug fliegt jetzt durch den Kara-Korum, die »Schwarze Wüste«. (S. 66)
Der vordere Wagen ist bereits mit Collis von Fulk Ephrjuell beladen. Er öffnet sich nicht an der Seite, sondern vorn und hinten, wie die Personenwagen. Auch er ist mit einer Plattform und einer Laufbrücke versehen. Ein Mittelgang gestattet dem Zugführer, den Tender und die Locomotive zu erreichen, wenn sich das nöthig macht. Das Dienstcoupé Popof’s befindet sich auf der Plattform des ersten Wagens zur
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