Claudius Bombarnac
vierzig Jahre alt, und trägt mit Eleganz das Costüm der reichen Mongolen. Er ist von hohem Wuchs, hat etwas finsteren Blick, einen wohlgepflegten Schnurrbart
à la
Scholl – ach, möcht’ er auch dessen Geist besitzen
! –
sehr blaßgelben Teint und Augenlider, die sich fast niemals bewegen.
»Da, sag’ ich für mich, ein prächtiges Musterexemplar! Ich weiß nicht, ob er der Vertreter der ersten Rolle, den ich noch suche, werden wird, auf jeden Fall geb’ ich ihm doch in meiner würdigen Gesellschaft die Nummer 12.«
Dieser Inhaber der noch freien ersten Rolle ist, wie ich von Popof erfuhr, der Seigneur Farusklar. Er ist von einem Mongolen niederen Ranges und gleichen Alters begleitet, der sich Ghangir nennt. Beide sehen auf den Packwagen, der am Ende des Zuges, doch vor dem letzten Güterwagen, angekoppelt wird. Sobald dieses Einrangieren beendet ist, nehmen die Perser in dem nächstvorderen Wagen zweiter Classe Platz, damit der kostbare Körper immer unter ihrer Ueberwachung bleibt.
Da hört man auf dem Perron des Bahnhofs lautes Schreien.
Diese Töne kenne ich; die kommen vom Baron Weißschnitzerdörser her, der einmal über’s anderemal ruft: »Aufhalten! … Fangt ihn auf!«
Diesmal handelt es sich nicht um einen abgehenden Bahnzug, sondern nur um einen durchgegangenen Hut. Einige heftige Windstöße, die sich unter der Decke der Einsteigehalle verfangen haben – und diese steht allen Winden offen – haben den helmartigen bläulichen Hut des Barons rücksichtslos entführt. Er rollt über den Perron hin, über die Schienen, streift die Weichen und das Mauerwerk, und sein Eigenthümer rennt, daß ihm der Athem ausgeht, ohne den Flüchtling einholen zu können.
Angesichts dieser tollen Hetzjagd halten sich Herr und Frau Caterna krampfhaft die Seiten, der junge Chinese Pan-Chao will vor Lachen platzen, nur der Doctor Tio-King bewahrt seine unerschütterliche Ruhe.
Scharlachroth, athemlos, keuchend hält der Deutsche an. Mehrmals versucht er die Hand auf seine Kopfbedeckung zu legen – immer entwischt sie ihm, und dabei fällt er selbst noch der Länge nach hin, während die Schöße seines langen Rockes über seinem Kopfe zusammenschlagen, was Herrn Caterna die bekannte Melodie der Miß Helyett zu trällern veranlaßt:
Wie herrlich dies zu seh-e-en,
Was doch so schnell geschehe-en!
Ich kenne nichts Boshafteres und Lustigeres als einen Hut, der vom Winde entführt wird, der hin und her rollt, hüpft, springt, auf der Erde hinstreicht und gerade dann wieder davonfliegt, wenn man ihn schon in der Hand zu haben meint. Wenn mir das widerführe, würde ich Allen gern verzeihen, die über mich lachten.
Der Baron ist aber nicht in der Laune zu verzeihen. Er springt hierhin, er springt dorthin, er wagt sich auf das Gleis. »Achtung! In Acht nehmen!« rufen ihm Mehrere zu, denn der von Merv kommende Zug läuft eben in den Bahnhof ein. Das war des Hutes Tod: die Locomotive zermalmt ihn ohne Mitleid, und der Reisehelm ist nichts mehr als ein trauriger Fetzen, den man dem Baron zurückbringt. Natürlich regnet es nun wieder Vorwürfe und Drohungen gegen die Groß-Transasiatische Bahngesellschaft.
Das Abfahrtssignal ertönt und alte und neue Passagiere beeilen sich, Plätze zu suchen oder die ihrigen wieder einzunehmen. Unter den neuen bemerke ich drei Mongolen von verdächtigem Aussehen, die einen Wagen zweiter Classe besteigen.
Eben als ich den Fuß auf die Plattform setze, höre ich den jungen Chinesen zu seinem Begleiter sagen:
»Ach, Doctor Tio-King, haben Sie jenen Deutschen mit seinem drolligen Hute gesehen? … Nein, was ich gelacht habe!«
Wie correct spricht Pan-Chao französisch …. Was sag’ ich, mehr als französisch, das ist ja parisisch! … Das legt mir den Gedanken nahe, nun auch ihn anzusprechen!
Neuntes Capitel.
Wir sind genau mit der Minute abgefahren. Der Baron wird sich diesmal nicht zu beklagen haben. Uebrigens begreife ich seine Ungeduld Eine Minute Verspätung kann ihm den Anschluß an den Dampfer von Tien-Tsin nach Japan kosten.
Der neue Tag verspricht das Beste freilich nicht. So pfeift zum Beispiel ein so scharfer Wind, als müsse er die Sonne wie eine Stearinkerze auslöschen, einer jener Orkane, die, wie die Leute sagen, die Locomotiven der Groß-Transasiatischen Bahn zum Stehen bringen. Heute weht er zum Glück aus Westen und wird eher vortheilhaft sein, da er die Wagen von hinten packt. Man wird sich also auf den Plattformen aufhalten können.
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