Claudius Bombarnac
wünsch’ ich nur mit jenem Chinesen Pan-Chao ins Gespräch zu kommen. Popof hat Recht; das muß der Sohn einer reichen Familie sein, der einige Jahre in Paris zugebracht – um zu lernen und sich zu amüsiren. Er dürfte einer der fleißigen »Five o’clocks«-Leser des »XX. Jahrhundert« gewesen sein.
Inzwischen habe ich mich auch noch mit anderen Dingen zu beschäftigen Da ist zuerst der Mann im Kasten. Leider muß ein ganzer Tag vergehen, ehe ich ihn seiner Unruhe entreißen kann. Der wird schön in Angst sein! Da es aber unklug wäre, am Tage in den Packwagen einzudringen, so muß ich schon wohl oder übel die Nacht abwarten.
Vergessen wir nicht, daß auch ein Gespräch mit Herrn und Frau Caterna auf meinem Programm vorgesehen ist. Das wird übrigens keinerlei Schwierigkeiten bieten.
Nicht so leicht dürfte es sein, mich mit meiner Nummer 12, dem stolzen Seigneur Farusklar, in Verbindung zu setzen. Der Orientale scheint mir besonders eng zugeknöpft.
Zudem muß ich auch schnellstens den Namen des Mandarinen erfahren, der als Leichenpacket nach China zurückkehrt. Mit einiger Gewandtheit muß Popof diesen doch von einem der Perser, die Seiner Excellenz das Geleit geben, hervorlocken können. Ach, wenn das der Name eines Großwürdenträgers, etwa Pao-Wang oder Ko-Wang, des Vicekönigs der beiden Kiang, oder gar der Prinz King in Person wäre.
Während der ersten Stunden braust der Zug durch die Oase weiter. Bald werden wir uns in voller Wüste befinden. Der Boden besteht hier aus Alluvium, dessen Schichten sich bis in die Nähe von Merv hinziehen. Man muß sich schon an diese Eintönigkeit der Reise gewöhnen, die auch bis zur Grenze von Turkestan andauern wird: Oase und Wüste, Wüste und Oase, weiter nichts. Mit der Annäherung an das Hochland von Pamir verändert sich freilich die Scenerie. An landschaftlichen Reizen fehlt es dem geographischen Knoten nicht, den die Russen ebenso haben durchhauen müssen, wie jener Schlaukopf Alexander den Knoten, der das Ochsenjoch mit der Deichsel des Wagens Gordiums verband. Das brachte dem macedonischen Eroberer damals die Herrschaft über Asien ein …. Eine gute Vorbedeutung für die Herrschaft der Russen.
Doch, warten wir das Hochland von Pamir und seine wechselnden Bilder vorläufig ruhig ab. Jenseits desselben dehnen sich die endlosen Ebenen des chinesischen Turkestan aus und dann die ungeheure sandige Ebene der Wüste von Gobi, wo die Reise wieder ebenso eintönig wird, wie vorher.
Es war jetzt einhalbelf Uhr. Im Dining-car muß das Frühstück bald aufgetragen werden. Bis dahin wollen wir in der Hauptstraße des Zuges die gewohnte Morgenpromenade machen.
Wo steckt denn Fulk Ephrjuell? Ich seh’ ihn nicht auf seinem Platze neben Miß Horatia Bluett, die ich nach höflicher Begrüßung darum befrage.
»Herr Fulk wollte einmal nach seinem Gepäck sehen«, antwortet sie mir.
Aha, sie ist schon so weit, ihn Herr Fulk zu nennen, und sicherlich wird es sehr bald nur noch einfach »Fulk« heißen!
Seit der Abfahrt haben sich der Seigneur Farnsklar und Ghangir im letzten Coupé des zweiten Waggons einlogiert. Jetzt sind sie allein und sprechen mit leiser Stimme.
Jetzt tritt auch der Baron aus dem »Dining-car«. (S. 103.)
Im Zurückgehen begegne ich Fulk Ephrjuell, der sich wieder zu seiner Reisegenossin begiebt. Er drückt mir auf »Yankceart« die Hand. Ich sage ihm, daß Miß Horatia Bluett mir über ihn berichtet hat.
»O, ruft er, das ist ein tüchtiges Weib, eine Kaufmannsfrau ohne Gleichen! Eine jener Engländerinnen …
– Die es verdiente, Amerikanerin zu sein! füge ich hinzu.
–
Wait a bit!
« antwortet er lächelnd und mit entschieden vielversprechender Miene.
Als ich hinausgehen will, bemerk’ ich, daß die beiden Chinesen bereits im Dining-car gewesen sein müssen. Der Schmöker des Doctor Tio-King liegt noch auf einem der kleinen Tische.
Ich glaube nicht, daß es von einem Reporter allzu indiscret ist, das alte Buch aufzunehmen, es zu öffnen und den Titel zu lesen, der also lautet:
»Von dem nüchternen und regelmäßigen Leben, oder die Kunst lange Zeit in vollkommener Gesundheit zu leben.
Uebersetzt aus dem Italienischen von Louis Cornaro, Edelmann aus Venedig.
Vermehrt mit Angabe von Mitteln, um ein übles Temperament zu bessern, volle Glückseligkeit bis ins höchste Alter zu genießen, und nicht vor gänzlicher Aufzehrung der Säfte zu sterben, wenn diese im allerhöchsten Greisenalter erschöpft
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