Claustria (German Edition)
erlegen zu sein. Zitternd bezahlte sie.
Vor einem Stand mit Lederwaren blieb sie stehen und wartete, bis die Nachbarin die gargantuesken Einkäufe in Taschen gepackt hatte, die sie den Kindern auflud. Als Anneliese den Blick hob, um den Preis eines Portemonnaies zu prüfen, schob sich Fritzls Konterfei in ihr Gesichtsfeld. Er versuchte, sich durchs Gedränge zu schieben, wurde von einer Gruppe Jugendlicher angerempelt und stieß mit seinem Einkaufswagen an Anneliese.
Sie sahen einander an, dann ging er weiter, bahnte sich seinen Weg, ohne sich um die Proteste der Leute zu kümmern, die er reihenweise zur Seite stieß. Anneliese sah gerade noch einen Karton mit zwei Dutzend Eiern, und später meinte sie, durch das Gitter des Einkaufswagens auch Milchpackungen und eine himmelblaue Packung Windeln erkannt zu haben.
,,Sind Sie ihm nicht hinterhergelaufen?“
,,Ich habe gewartet, bis er weg war, dann bin ich zur Bushaltestelle gegangen.“
Reumütig machte sie sich aus dem Staub, beschämt, dass ihr Mann sie außerhalb des ihr zugestandenen Radius gesehen hatte. Sie hatte Angst, alles noch schlimmer zu machen, sollte er sich auf dem Parkplatz verstecken und sie dabei erwischen, wie sie mit dieser Frau und ihrer Brut kleiner Wilder in ein Auto stieg. Zu Hause wartete sie auf Vorhaltungen, unterstrichen von Schlägen. Sie fürchtete sich auch vor dem Kontoauszug mit dieser unverhofften Lastschrift. Ein paar Wochen später sollte sie überrascht feststellen, dass Fritzl ihr den Ausflug aus der Stadt hinaus verziehen zu haben schien.
,,Aber ich hab’ geschwitzt. Ich hab’s nie wieder getan.“
Im August 2004 machte Fritzl mit einem Freund dreieinhalb Wochen Ferien in Thailand, um sich am Strand bräunen zu lassen und Prostituierte zu vernaschen. Im Internet kann man den Urlaubsfilm sehen, den sein Kumpel gedreht hat: Fritzl mit einem blutigen Stück Fleisch auf der Messerspitze, Fritzl, dem eine Nixe am Strand eine Massage angedeihen lässt, Fritzl, der in einem Wäschegeschäft Einkäufe macht.
Nina nahm über einen österreichischen Journalisten, den sie bei der Verhandlung in St. Pölten kennengelernt hatte, Kontakt zu diesem Kumpel auf. Er empfing uns an einem Morgen im Mai in seinem Einfamilienhaus unweit des Hauses von Fritzl.
,,Fritzl war lustig, er hatte immer etwas zu erzählen.“
,,Kannten Sie ihn schon lange?“
,,Er war kein Sandkastenfreund.“
Der Mann war 2000 nach Amstetten ins Haus seines Vaters gezogen, der ein Jahr zuvor gestorben war.
,,Ich war schon in Pension.“
,,Wie haben Sie sich kennengelernt?“
Er stand auf, um ans Telefon zu gehen, doch es hatte gar nicht geklingelt, er sprach ins Leere. Er unterbrach seinen Monolog und hielt die Sprechmuschel zu.
,,Entschuldigen Sie – die Bank.“
Nina warf mir einen Blick aus großen Augen zu, damit ich nicht loslachte. Ich biss mir auf die Backen und schlug meine Nägel in den Bezug des Sofas, auf dem wir saßen. Der Mann redete weiter, und als ihm nichts mehr einfiel, horchte er andächtig ins Nichts, das am anderen Ende der Leitung piepste.
Nach einer Viertelstunde gingen wir. Ich werde nie erfahren, wo und bei welcher Gelegenheit sich die beiden Männer kennengelernt haben.
Als Souvenir brachte Fritzl seiner Tochter billige Stringtangas und BHs mit Schlitz mit, von denen er sich den einen oder anderen verruchten Striptease versprach.
,,Haben Sie während Ihres Urlaubs an Ihre Familie gedacht?“
,,Ich genieße gern das Leben. Wenn man sich von Zeit zu Zeit nicht ein bisschen Sonnenschein gönnte, hat es keinen Sinn, so hart zu arbeiten.“
Es war schon zweiundzwanzig Uhr, der Polizist beschloss, das Verhör für den Tag zu beenden.
In jenem Sommer verbrachte Anneliese mit ihrer Schwester und ihren Kindern von oben den Sommer fünfzig Kilometer von Amstetten entfernt in einer Hütte ohne jeden Komfort, die Fritzl für eine Bagatelle gemietet hatte. Anneliese wäre gern zwei Wochen später gefahren, um Garten und Pool zu Hause zu genießen, aber Fritzl fragte sie nicht nach ihrer Meinung.
,,Ich will, dass du abhaust, damit ich eine Weile dein ranziges Fett nicht mehr riechen muss.“
Vor seinem Aufbruch fiel Angelika auf, dass er Lebensmittelvorräte anlegte. Kühlschrank und Tiefkühltruhe waren schnell voll, den Rest verstaute er in den Regalen der Speisekammer.
,,Fährst du weg?“
,,Geht dich das etwas an?“
,,Wann kommst du wieder?“
,,Vielleicht nie mehr.“
Er machte sich nicht einmal die Mühe, zu lachen. Er
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