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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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Mutter. Bevor ich ging, wollte sie ihn baden. Er hat geweint, dicke Tränen, als hätte er kleine Brunnen in den Augen. Die Wanne war voll, und ich sagte zu ihm, ich würde an seiner Stelle baden. Er hat mir nicht geglaubt. Also habe ich mich ausgezogen und bin in die Wanne gestiegen. Er hat dann gelacht, er hat sich an meinem Arm festgehalten und ist auch ins Wasser geklettert.“
    Fritzl konnte die Augen nicht vom Bildschirm nehmen.
    ,,Können Sie mir einen Ausdruck davon machen?“
    Die Polizisten zögerten. Doch da Roman nackt war, fürchteten sie, man könne sie beschuldigen, Fritzl ein pädophiles Bild zur Verfügung gestellt zu haben, und weigerten sich.
    ,,Würden Sie mir dann endlich mein Handy zurückgeben? Das Bild ist dort drin.“
    Im Handy war auch das letzte Video gespeichert, das er acht Tage zuvor gedreht hatte. Petra war auf der Intensivstation, aber wie jeden Freitag hatte er automatisch Viagra genommen und war in den Keller gegangen. Angelika war von den Wochen des Wachens und der Angst vollkommen am Ende. Martin mit seinen Kinderaugen, mit steifem Glied verloren auf dem zerwühlten Laken.

Fritzl hatte die Angewohnheit, einmal die Woche in einem Supermarkt in Persenbeug, dreißig Kilometer von Amstetten entfernt, Großeinkauf zu machen.
    Systematisch füllte er einen großen Einkaufswagen. Erst Waschmittel und Reis, dann legte er wie in einem Weinkeller Flaschen in den Wagen, zusammen mit Konservendosen, die während seiner Abwesenheit das tägliche Brot im Keller waren. Danach Wurst, Fleisch, Kekse, Käse, Obst, Gemüse. Mittendrin versteckte er, so gut es ging, die Windelpackungen, wurde aber rot, wenn er sie an der Kasse aufs Band legte.
    Wenn er dann alles hinten in seinem Kombi verstaut hatte, legte er eine Decke darüber. Er wartete, bis es dunkel wurde, dann trug er seine Einkäufe in den Keller. Im Sommer verdarben bis dahin die Frischprodukte im Wagen. Angelika musste das Fleisch abkratzen oder es lange kochen. Der Salat war welk, die Milch sauer, das Joghurt warm. Eines Tages bat sie Fritzl, eine Kühlbox zu kaufen. Er hatte gerade eine Packung Butter aufgemacht, die flüssig geworden war, nachdem sie im Auto bei über fünfunddreißig Grad im Schatten hatte schmoren müssen. Er drückte sie Angelika ins Gesicht und hielt ihr die Nase zu, damit sie schlucken musste.
    Nie traf er Mieter oder Nachbarn, nur am 22. Januar 2003 kam es zu einem ärgerlichen Zusammentreffen mit Anneliese.
    Bei ihrer Blitzbefragung erzählte sie den Polizisten davon. Sie erinnerte sich an das genaue Datum, weil man ihr an jenem Tag eine Halogenlampe geliefert hatte. Sie träumte vom Besuch eines großen Supermarktes, von dem eine Nachbarin ihr seit Jahren vorschwärmte.
    ,,Es ist zu weit, er wird nie mit mir dort hingehen.“
    ,,Ich fahre am Samstag mit den Kindern hin. Wenn Sie wollen, kann ich Sie abholen.“
    Anneliese zauderte. Sie war es nicht gewöhnt, ohne ihren Mann wegzufahren. Außer mit den Mietern hatte sie nur Kontakt mit ihrer Schwester. Es herrschte das unausgesprochene Verbot, mit Leuten zu verkehren, die Fritzl ,,Fremde“ nannte. Anneliese gestand sich dennoch das Recht zu, mit den Geschäftsbesitzern und anderen Kunden zu plaudern. An diesem Tag ließ sie sich von der süßen Lust der Zuwiderhandlung hinreißen.
    ,,Ich bin um zwei Uhr an der Ecke.“
    Sie hatte Angst im Bauch, dabei ertappt zu werden, wie sie mit einer Fremden in ein Auto stieg.
    Aufgestachelt von der Frau, kaufte Anneliese Dinge, die sie normalerweise nie in die Hand genommen hätte.
    ,,Hier ist es nicht teuer. Es wäre doch schade, wenn Sie das nicht ausnützen würden!“
    Ein Viererpack Mandelschokolade im Sonderangebot, Entrecote, italienischer Schinken und andere Leckereien, die sie bei ihrer Rückkehr auf dem Dachboden versteckte, weil sie Angst hatte, Fritzl könne sie fragen, ob sie den Verstand verloren hätte. Trotz der Jahreszeit verdarb das Fleisch an einem milden Tag. Den Rest aß sie oben, während sie Patiencen legte.
    ,,Nehmen Sie auch Gänseleberpastete.“
    Eine sündhaft teure Delikatesse, die Anneliese noch nie auf dem Teller gehabt hatte.
    ,,Kommen Sie schon, greifen Sie zu!“
    Sie traute sich nicht.
    Die Frauen gingen zur Kasse. Hinter ihnen tobten die Kinder und vertilgten dabei eine Packung Kekse.
    Anneliese zögerte, bevor sie die Waren auf das Band legte, sie musste sich beherrschen, nicht zurückzulaufen und alles wieder in die Regale zu stellen. Sie senkte den Kopf aus Scham, dieser Verführung

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