Claustria (German Edition)
verließ Anneliese schnell das Geschäft.
Am Abend erstattete sie ihrem Mann Bericht.
,,Sie hatte einen Fleck auf dem Kleid.“
,,Du hättest besser so tun sollen, als würdest du sie nicht kennen. Sie hat sich in dieser langen Zeit bestimmt sehr verändert.“
,,Sicherlich wohnt sie hier.“
Fritzl schimpfte, weil der Kaffee, den sie ihm am Morgen gekocht hatte, bitter gewesen war. Er drehte eine Runde im Garten.
Hätte er nicht drei Kinder aus dem Keller geholt, wäre das Haus verlassen gewesen. Zwei ältere Menschen auf dem Weg ins Grab, die sich im Bett begegneten und sich dreimal am Tag an den Küchentisch setzten.
Der Wortschatz war kümmerlich, man musste keine Sätze bilden, um auf etwas hinzuweisen, auf Lebensmittel, auf den Hals, der nach einer Angina schmerzte, den Fuß, der wegen einer eitrigen Zehe wehtat. Hin und wieder kam Annelieses Schwester zu Besuch. Eine öde Unterhaltung ohne den kleinsten Klatsch und Tratsch, der sie gewürzt hätte, denn diese drei Kreaturen kannten niemanden mehr außer sich selbst.
Dank der Kinder gab es Lärm, Fröhlichkeit, Lachen. Annelieses Watschen schlugen den Takt des Familienlebens.
Seit es den Videorekorder im Keller gab, brachte Fritzl oft eine Kassette mit zusammengeschnittenen Urlaubsfilmen mit. Die Kinder von unten fühlten sich in keiner Weise mit diesen eigenartigen Geschwistern in der Sonne verbunden.
Sie beneideten sie nicht. Für sie war es, als würden sie eine Serie über das Leben einer Familie am anderen Ende der Welt ansehen. Sie waren alle aus demselben Bauch gekommen, so wie Kriegsbilder und Musicals auch aus demselben Kabel kommen. Als die Kellerkinder ihre Geschwister am Tag nach ihrer Befreiung trafen, kam es ihnen so vor, als würden sie Stars treffen, herausgenommen aus der Flut der Bilder, die der Fernseher Tag und Nacht im Keller sendete.
Bevor man mit einem Handy auch filmen konnte, brachte Fritzl oft seine Videokamera mit herunter. Seltene gesittete Szenen in der Küche, in der Speisekammer, wenn Petra und Martin sich verkleideten, indem sie Hüte aus Lebensmittelkartons aufsetzten oder sich das Gesicht mit Erdbeersirup vollschmierten, um Soldaten im Todeskampf auf dem Schlachtfeld zu spielen.
Im Schlafzimmer drehte Fritzl über zweihundert Filmstunden, die Videokamera stand auf einem Hocker. Die Aufnahmen sah er sich danach in seinem Kellerbüro an. Im Dezember 2006 stellte er die Filme in einem Internetcafé in Linz auf verschiedenen Kinderporno-Sites ins Netz. Die Polizei versucht seitdem, ihrer habhaft zu werden, aber sie wurden so oft kopiert und so weit über die Welt verstreut, dass sie im Gedächtnis aller möglichen Server haften geblieben sind und die Fantasien ganzer Generationen von Perversen bis zum Ende aller Zeiten speisen werden.
In der Zelle überkam Fritzl oft die Wut beim Gedanken, dass er keinen Cent verdiente, wenn irgend so ein komischer Kauz seine Filme anklickte. Ein verzweifelter Künstler, den die Internetpiraterie ruiniert hat. Wiederholt beschwerte er sich bei seinem Anwalt, bekam aber immer nur einen Sermon über den Schnee, den Wind, die hohen Automobilpreise zur Antwort, wenn der Magister so tat, als hätte er nichts gehört.
Ein Foto verblüffte die Ermittler: Fritzl und Roman in der Badewanne im Keller. Schaum an der Nasenspitze des Vaters, der das Kind im Arm hält. Beide sind vergnügt, das Kind spritzt das Objektiv voll. Auf dem Wannenrand ein halb volles Glas Bier und ein nasser rosa Bär, der auch zu lachen scheint. Ihre Augen sind rot vom Blitzlicht, die Haut des Kindes wirkt vor der rotbraunen Haut des Mannes, von der Balearensonne gebräunt, noch blasser.
Seit neun Uhr morgens verhörten die Polizisten Fritzl zu den Bildern und Videos seiner Ausschweifungen. Während der Vorführung war er die Ruhe selbst, oft trug er Einzelheiten bei, nach denen zu fragen keiner auf die Idee gekommen wäre. Eine Art Orgasmus nässte seine Mundwinkel, während er den Blick der angewiderten Polizisten suchte. Der eine hatte ein Auge geschlossen, als wollte er nur die Hälfte des Spektakels sehen, der andere kam von der Toilette, wo er sich gerade übergeben hatte.
Als das Badewannenbild auf dem Monitor erschien, verzog sich Fritzls Mund zu einem breiten Lächeln.
,,Mein kleiner Roman!“
Stille im Raum. Fritzl schluckte seinen Speichel hinunter, als wäre er gerührt.
,,Das war am 3. Februar 2004. Ich habe ihm zur Jause Süßigkeiten gebracht – die hat er lieber gegessen als die Kuchen seiner
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